14.05.2024 17:20:46 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2/Umstrittenes Gesetz verabschiedet: Georgien riskiert EU-Kurs

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TIFLIS (dpa-AFX) - Ungeachtet wochenlanger Massenproteste hat das georgische Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Kontrolle über die Zivilgesellschaft
verschärft und den EU-Kurs des Landes gefährden könnte. Die Regierungsmehrheit
der Partei Georgischer Traum billigte am Dienstag ein umstrittenes Gesetz, das
den ausländischen Einfluss auf Nichtregierungsorganisationen begrenzen soll.
Damit schlug die Führung in Tiflis Warnungen der EU und anderer Unterstützer des
kleinen Landes im Südkaukasus in den Wind.

84 Abgeordnete stimmten nach Angaben des Fernsehsenders Rustavi-2 für das
Gesetz, 30 Abgeordnete dagegen. Verschärft wird die Rechenschaftspflicht für
Hilfsorganisationen und unabhängige Medien, die mehr als 20 Prozent ihrer Gelder
aus dem Ausland erhalten. Zur Begründung heißt es, mehr Transparenz sei nötig.

Hunderttausende Gegner der "russisches Gesetz" getauften Regelung fürchten
aber, dass damit wie in Russland kritische Organisationen mundtot gemacht werden
sollen. Mit dem autoritären Kurs der Partei Georgischer Traum sehen sie den
angestrebten EU-Beitritt der Ex-Sowjetrepublik in Gefahr.

Polizei geht gegen Demonstranten vor

Die vonseiten der Protestbewegung friedlichen Kundgebungen in Tiflis dauern
seit Wochen an. Auch am Dienstag waren viele zumeist junge Demonstranten am
Parlamentsgebäude versammelt. Sie reagierten empört auf die Abstimmung. Einige
versuchten, Barrikaden zu überklettern und ins Parlament zu gelangen. Mit
starken Kräften trieb die Polizei die Demonstranten zurück; nach
Augenzeugenberichten wurden mehrere Menschen festgenommen.

Eine Reaktion der EU-Kommission in Brüssel stand zunächst aus. Zuvor hatte
es mehrere Warnungen gegeben, das Gesetz entspreche nicht den europäischen
Standards von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit. Die USA als ein Hauptgeldgeber
äußerten sich auch besorgt.

Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, schrieb auf X. "Die
Georgier auf den Straßen träumen von Europa. Sie wollen eine europäische
Zukunft. Sie erwarten europäische Werte und Normen."

Ein Land an einer weltpolitischen Front

Georgien liegt an der Südgrenze Russlands und damit an einer wichtigen
weltpolitischen Frontlinie. Eine Bevölkerungsmehrheit möchte sich von Russland
lösen; der angestrebte Beitritt zu EU und Nato steht in der Verfassung. Seit dem
vergangenen Dezember hat das Land den Status eines EU-Beitrittskandidaten.

Gleichzeitig kontrolliert Moskau die abtrünnigen georgischen Gebiete
Südossetien und Abchasien, die es als unabhängige Staaten anerkannt hat. Starker
Mann bei Georgischer Traum ist der Parteigründer und undurchsichtige Milliardär
Bidsina Iwanischwili, der eine Schaukelpolitik zwischen Moskau und der EU
verfolgte.

Bei einer Rede Ende April kündigte er eine autoritäre Wende an. Er drohte,
nach der kommenden Parlamentswahl im Oktober die Opposition strafrechtlich zu
verfolgen. Eine mögliche russische Handschrift erkennen Beobachter auch in einem
Gesetz, das den Zustrom von Offshore-Geld nach Georgien erleichtern soll. Dies
würde Iwanischwili wie auch reichen Russen zugutekommen.

Der Vorsitzende des Außenausschusses im Bundestag, Michael Roth (SPD), sah
heranrückende EU-Beitrittsverhandlungen als möglichen Grund für den Kurswechsel.
Dann müsse die Regierung Reformen für mehr Rechtsstaatlichkeit und Freiheit
einleiten, sagte er in Tiflis der dpa. "Offenbar hat man vor diesem Weg Angst
und ist auch bereit, dafür einen hohen Preis zu zahlen."

Georgien hat viele Hilfsgelder bekommen

Kaum ein Land hat so viel Hilfe bekommen für Projekte in
Demokratieförderung, Medien, Soziales, Umwelt und Wirtschaft, wie Georgien. Von
mehr als 20 000 registrierten NGOs seien 4500 bis 5000 tatsächlich aktiv,
schätzt Stephan Malerius, Vertreter der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in
Tiflis. "Ich glaube, dass die Investitionen der EU, der USA und anderer Geber in
die Zivilgesellschaft sehr sinnvoll gewesen sind", sagte der Leiter des
Regionalprogramms Politischer Dialog Südkaukasus der dpa.

Das neue Gesetz wird nun der Staatspräsidentin Salome Surabischwili
zugeleitet, die schon ein Veto angekündigt hat. Das Veto kann dann vom Parlament
überstimmt werden. In diesem Teil des Verfahrens könnten ausländische Kritiker
ihre Bedenken anbringen, sagte Ministerpräsident Irakli Kobachidse./fko/DP/men

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