14.06.2024 12:01:57 - dpa-AFX: EM 2024/Leicht-Bier allein hilft nicht: Die EM und das Hooligan-Problem

GELSENKIRCHEN (dpa-AFX) - Die Bundesinnenministerin ist sich sicher: "Für
die Polizeien von Bund und Ländern wird die EM ein enormer Kraftakt", sagte
Nancy Faeser am Tag vor dem Turnierbeginn. "Die Bundespolizei steht vor dem
größten Einsatz in ihrer Geschichte." Gleich am ersten EM-Wochenende kommt dabei
ein Problem auf die Sicherheitskräfte zu, das anders als die Folgen des
Ukraine-Kriegs oder mögliche Cyber-Attacken keine neue Bedrohungslage bei einem
großen Fußball-Turnier ist: die Angst vor Hooligan-Krawallen.

Als erstes der insgesamt 51 EM-Spiele ist die Partie zwischen Serbien und
England am Sonntagabend in Gelsenkirchen (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) zum
Hochrisiko-Spiel hochgestuft worden. 40 000 englische Fans, 8000 Serben - und
was das größte Problem ist: Darunter etwa 500 polizeibekannte und gewaltbereite
serbische Anhänger werden in der Stadt erwartet.

Nur Bier mit weniger Alkohol

Aus Sicherheitsgründen wird dann nicht nur der Polizei-Einsatz massiv
verstärkt. Bei diesem Spiel ist auch nur der Verkauf einer Leicht-Bier-Variante
mit halbem Alkoholgehalt erlaubt: 2,5 statt 4,8 Prozent, um das
Eskalationsrisiko möglichst zu reduzieren.

Doch was als Nachricht durch zahlreiche europäische Medien wanderte, geht am Kern des Hooligan-Problems nach Meinung von Experten mittlerweile vorbei.
Gewaltbereite Fans, die zum Stadion ziehen, sich betrinken und dann wahllos
drauflos prügeln - das ist vor allem bei Hooligans aus Osteuropa und vom Balkan
nur noch ein Klischee. "Die Hooligan-Szene hat sich und ihre Gewalt über die
vergangenen Jahre stark professionalisiert", sagte der Fan-Forscher und
Hooligan-Experte Robert Claus dem "Focus".

Der Autor sieht in Ländern wie Serbien, Kroatien, Ungarn oder Polen vor
allem zwei Tendenzen: eine Überschneidung des Hooliganismus mit rechtsextremen
Strukturen. Und eine straffe Organisation. "Es gibt heute kaum noch Hooligans,
die keinen Kampfsport betreiben", sagte Claus. "Aus der Szene heraus sind
private Fitnessstudios, Kampfsport-Events sowie Ausrüster-Firmen entstanden und
somit auch Jobs."

Hooligans stark vernetzt

Hooligans sind stark vernetzt - innerhalb ihrer jeweiligen Landesgrenzen und auch darüber hinaus. Bei den Massenschlägereien rund um das Finalturnier der
Basketball-Euroleague am letzten Mai-Wochenende in Berlin attackierten Fans von
Roter Stern Belgrad und Olympiakos Piräus gemeinsam die Anhänger von
Panathinaikos Athen.

Die Serben spielten zwar gar nicht mit bei diesem Turnier. Aber Fangruppen
von Roter Stern pflegen ihre Verbindungen, auch zu Rechtsradikalen, zur
organisierten Kriminalität und vor allem zu prorussischen Gruppierungen. Das
schließt den Kreis zu den schweren Ausschreitungen bei der Europameisterschaft
2016 in Frankreich, dem letzten EM-Turnier vor dem Ausbruch der
Coronavirus-Pandemie. Damals griffen knapp 200 stramm organisierte russische
Hooligans mehrere tausend englische Fans in Marseille an.

Ausländische Polizisten im EM-Einsatz

Um solche Szenen in deutschen EM-Städten zu verhindern, arbeiten die
Sicherheitskräfte bei diesem Turnier auch eng mit ausländischen Polizisten
zusammen. 580 von ihnen aus allen Teilnehmerländern werden während der EM in
Deutschland selbst im Einsatz sein. Serbische oder polnische Polizisten erkennen
serbische oder polnische Hooligans - das ist das Kalkül.

"Die internationalen Polizeikräfte sind ein Bindeglied zwischen unserer
Polizei und den Fans und Gästen aus den teilnehmenden Staaten", sagte
Innenministerin Faeser (SPD) am Donnerstag bei deren Begrüßung in Bamberg.
"Schon die Präsenz von uniformierten Polizeibeamten aus der eigenen Heimat kann
gegenüber möglichen Gewalttätern abschreckend wirken. So können wir gemeinsam
zielgerichtet handeln und Gewalt verhindern."

Um schon eine Einreise gewaltbereiter Fans zu verhindern, werden während der EM in mehreren Bundesländern die Grenzkontrollen verstärkt. In
Mecklenburg-Vorpommern etwa hat die Bundespolizei verschärft die Übergänge nach
Polen sowie die Fährhäfen nach Dänemark und Schweden im Auge - auch hier in
enger Verbindung mit ihren polnischen Kollegen.

"Wir haben einen internationalen Datenaustausch zu gewaltbereiten
Hooligans", sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag im
ZDF-"Morgenmagazin". "Es wird jedenfalls konsequent kontrolliert an den Grenzen.
Und das ist wichtig und richtig so."/sti/DP/ngu

--- von Sebastian Stiekel, dpa ---

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