07.07.2024 15:20:25 - dpa-AFX: EM 2024/'Noch andere Fragen?' Ronaldos bitteres Turnier-Ende

HAMBURG (dpa-AFX) - Es ist nicht immer leicht, mit Cristiano Ronaldo in
einem Team zu spielen. Portugals Verteidiger Rúben Dias etwa gewann mit
Manchester City die Champions League und viermal die englische Meisterschaft.
Der 27-Jährige ist selbst eine große Nummer im europäischen Fußball, sonst hätte
sein Club vor vier Jahren nicht rund 70 Millionen Euro Ablösesumme für ihn
bezahlt.

Nach dem EM-Aus im Viertelfinale gegen Frankreich aber stand Dias am Ausgang des Hamburger Volksparkstadions und wurde nicht nach seiner Leistung gefragt,
sondern nach der von "CR7". Alles bei den Portugiesen dreht sich um ihren
Superstar, das ist schon seit Jahren so. Nach diesem bitteren 3:5 im
Elfmeterschießen aber hatte einer der besten und wichtigsten Mitspieler darauf
keine Lust mehr. "Gibt's noch andere Fragen?", meinte Dias - und ging.

Für den EM-Rekordspieler und -Torschützen Ronaldo war diese Niederlage das
letzte EM-Spiel seiner Karriere. Bei der nächsten Europameisterschaft 2028 in
Großbritannien und Irland wird er nicht mehr dabei sein. Das hatte der
39-Jährige schon vor dem Frankreich-Spiel erklärt.

Erstes großes Turnier ohne eigenes Tor

Für den so ehrgeizigen wie geltungsbewussten Stürmer war dieser Abschied von zumindest einer großen Bühne ein ziemliches Desaster, denn das Echo darauf ist
nicht: Respekt, dass jemand mit 39 Jahren noch auf diesem Niveau mitspielt.
Sondern: Wie weit hätten die Portugiesen bei diesem Turnier ohne ihn kommen
können? Was wäre möglich gewesen, wenn sie für den berühmtesten Spieler ihrer
Geschichte nicht das Leistungsprinzip geopfert, sondern im Angriff lieber dem 16
Jahre jüngeren Gonçalo Ramos (Paris Saint-Germain) oder dem 12 Jahre jüngeren
Diogo Jota (FC Liverpool) vertraut hätten?

Gefüttert wird diese Einschätzung allein durch die nackten Zahlen. Bei
seiner elften Welt- oder Europameisterschaft blieb Ronaldo zum ersten Mal ohne
eigenen Torerfolg aus dem Spiel heraus. Am Freitagabend kam er in 120
Spielminuten nur auf 40 Ballkontakte. Das Duell der Superstars mit Frankreichs
angeschlagenem Stürmer Kylian Mbappé lief komplett an ihm vorbei.

Schlechteste Note des Spiels

Portugals größte Sportzeitung "A Bola" gab Ronaldo am Samstag die
schlechteste Note aller Spieler. "Die Mannschaft verbesserte ihre Leistung im
Vergleich zu den vorherigen Spielen. Für den Kapitän galt das jedoch nicht",
hieß es zur Begründung. "Er war weder an seine Teamkollegen angebunden, noch
konnte er sich durchsetzen."

Das Fazit des "Guardian" fiel noch verheerender aus. "Portugal gegen
Frankreich: Ein galaktischer Kampf, der im schwarzen Loch des Egos eines Mannes
verloren geht", titelte die britische Zeitung.

Dieses harte Urteil geht zurück auf den weit verbreiteten Verdacht, Ronaldos Einfluss auf das portugiesische Team sei immer noch viel zu groß. Niemand traue
sich, ihn zu kritisieren oder auf die Bank zu setzen. Und er selbst stelle das
Erreichen persönlicher Rekorde über den Erfolg des gesamten Teams.

Auch darauf gibt es Hinweise: Etwa dass fast alle portugiesischen Spieler
nach dem Elfmeterschießen erst einmal den einzigen Fehlschützen Joao Félix
trösteten - bis auf den Kapitän. Oder dass 20 von 26 Spielern des
portugiesischen Kaders bei dieser EM von Ronaldos Management vertreten werden.
Auch das stärkt seine Position.

Abschied vom Nationalteam?

Nur Portugals Trainer Roberto Martínez beharrte bis zum Ende des Turniers
darauf, dass sein Festhalten an Ronaldo rein sportliche Gründe habe. "Für uns
als Nationalmannschaft ist er ein Vorbild", sagte der Spanier. "Er will jeden
Tag gewinnen. Er will jeden Tag den Wettkampf."

Ob Ronaldo noch bis zur nächsten Weltmeisterschaft in zwei Jahren
weitermacht, ist unklar. Er selbst verschwand nach dem Frankreich-Spiel
kommentarlos im Mannschaftsbus. Und auch Martínez wich den Fragen dazu aus.
Selbst der 41 Jahre alte Pepe konnte sich am Freitagabend noch nicht zu einem
Abschied aus der Nationalmannschaft durchringen. Dies sei nicht der richtige
Zeitpunkt, um darüber zu sprechen, sagte Ronaldos langjähriger Freund und
Teamkollege.

Sicher ist nur: Portugals Team hat auch ohne diese beiden Veteranen eine
glänzende Perspektive. Diogo Costa (FC Porto), Vitinha, Nuno Mendes (beide Paris
Saint-Germain) oder Rafael Leao (AC Mailand): Keiner dieser Stammspieler ist
älter als 25 Jahre. Und Toptalente wachsen ständig nach. "Das ist ein harter
Moment heute. Aber von uns wird noch einiges kommen", sagte Rúben Dias. Und das
eher ohne als mit Ronaldo./sti/DP/he

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