19.06.2024 14:16:22 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Melonis Verfassungsreform nimmt erste Hürde

(Neu: Einzelheiten zur geplanten Reform)

ROM (dpa-AFX) - Die Pläne für eine umstrittene Verfassungsreform der
italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni haben eine erste Hürde
genommen. Der Senat in Rom billigte am Dienstag einen entsprechenden
Gesetzentwurf der Rechtsregierung. Diese will damit nach eigenen Angaben für
mehr politische Stabilität in Italien sorgen.

Direktwahl des Regierungschefs und Mehrheitsbonus

Die Verfassungsreform sieht vor, dass der Ministerpräsident oder die
Ministerpräsidentin in Zukunft nicht mehr vom Staatspräsidenten mit der Bildung
einer Regierung beauftragt wird, sondern direkt vom Volk für fünf Jahre gewählt
wird. Dass die Regierung von der Person angeführt werden soll, die das Wahlvolk
eindeutig ausgewählt hat, soll auch sogenannte Technokratenregierungen
verhindern, bei denen parteilose Experten von außen geholt werden, um aus
komplizierten Mehrheitsverhältnissen eine funktionierende Koalition zu formen.

Außerdem soll ein sogenannter Mehrheitsbonus eingeführt werden, der dem
Wahlgewinner und den mit ihm verbundenen Listen automatisch eine klare Mehrheit
von 55 Prozent der Sitze in beiden Parlamentskammern, Abgeordnetenkammer und
Senat, garantiert. Bei diesem Teil der Reform sind allerdings noch einige Fragen
offen. So ist bisher ist nicht völlig klar, ob auch ein Kandidat den
Mehrheitsbonus automatisch bekommt, der bei der Wahl nur eine einfache Mehrheit
erhalten hat. Verfassungsrechtler zweifeln daher die Praxistauglichkeit dieser
Passage der Reform an.

Der vom Senat gebilligte Gesetzentwurf zur Verfassungsänderung wird nun zur
Abstimmung an die Abgeordnetenkammer gegeben. Er erhielt am Dienstag mit 109
Stimmen nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit, um ein Referendum zu
vermeiden. Es wird auch nicht erwartet, dass er in der Abgeordnetenkammer eine
solche erhält. Es handelte sich also nur um einen ersten Schritt bis zur
endgültigen Verabschiedung.

Für jede Verfassungsänderung ist in Italien eine Zweidrittelmehrheit in den
beiden Kammern des Parlaments nötig. Sollte diese nicht zustande kommen, muss
darüber in einem Referendum abgestimmt werden. Zuletzt scheiterte der damalige
Regierungschef Matteo Renzi 2016 an einem Verfassungsreferendum. Er musste
daraufhin zurücktreten.

Aufruf zu vereinter Opposition

Die drei größten Oppositionsparteien demonstrierten am Dienstagabend mit
Tausenden Anhängern gegen die Reform. Elly Schlein von der sozialdemokratischen
PD rief die chronisch zerstrittene Linke dazu auf, sich gegen das Vorhaben der
Meloni-Regierung zu verbünden: "Dies ist ein entscheidender Schritt in der
italienischen und europäischen Geschichte. Seien wir bereit, geeint und
geschlossen." An der Demonstration nahm ebenfalls der Chef der
linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung, Giuseppe Conte, teil.

Unter den Regierungsparteien brach hingegen Jubel aus. Regierungschefin
Meloni bezeichnete das Votum als ersten Schritt, um die Demokratie zu stärken.
Durch die Reform würde zudem den italienischen Institutionen Stabilität
verliehen, was den Palastspielen ein Ende setzen und den Bürgern das Recht
zurückgeben würden, zu wählen, von wem sie regiert werden, schrieb Meloni am
Abend auf der Online-Plattform X (vormals Twitter).

Scharfe Kritik an Vorhaben der Regierung

Die Rechtsregierung in Rom will mit der Reform gegen die chronische
Instabilität italienischer Regierungen ankämpfen. Seit Ende des Zweiten
Weltkriegs hatte Italien insgesamt fast 70 Regierungen. Einig sind sich viele,
dass deshalb das politische System reformiert werden muss. Allerdings wird die
Reform von Opposition und Verfassungsrechtlern scharf kritisiert.

Sie befürchten, dass Melonis Reform dem Parlament und dem Staatspräsidenten
wichtige Kompetenzen entziehen könnte. Die Rolle des Staatspräsidenten mit
seiner ausgleichenden Schlüsselfunktion würde verringert. Sie bemängeln zudem,
dass sich die Macht auf eine einzige Person konzentrieren und so das Machtgefüge
auf den Kopf gestellt würde.

Meloni fast zwei Jahre an der Regierung

Im Herbst ist Meloni schon zwei Jahre an der Regierung. Seit Oktober 2022
regieren ihre ultrarechten Fratelli d'Italia (Brüder Italiens) zusammen mit der
konservativen Partei Forza Italia und der rechtspopulistischen Lega. Die
Durchschnittsdauer italienischer Regierungen liegt bei 18 Monaten - Melonis
Rechtsallianz wäre dann für italienische Verhältnisse schon länger als üblich an
der Macht. Die Verfassungsreform als Lösung für die politische Instabilität war
eines der wichtigsten Wahlversprechen des Regierungsbündnisses./rme/DP/mis

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