02.07.2024 07:15:03 - dpa-AFX: ROUNDUP: Berlin und Warschau wollen Zeichen der Aussöhnung setzen

WARSCHAU (dpa-AFX) - Verschnaufpause in den zähen Haushaltsverhandlungen:
Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist am späten Montagabend mit zwölf seiner Bundes- und
Staatsminister nach Warschau gereist, um den Beziehungen zu dem Nachbarland
einen neuen Schub zu geben. Dort finden am Dienstagvormittag die ersten
deutsch-polnischen Regierungskonsultationen seit fast sechs Jahren statt.

Bei den insgesamt nur dreistündigen Beratungen unter Leitung von Scholz und
Polens Ministerpräsident Donald Tusk soll ein Aktionsplan beschlossen werden,
der sowohl Entschädigungszahlungen für noch lebende polnische Opfer der
Besatzung durch Nazi-Deutschland als auch deutsche Hilfe für die Verteidigung
der Ostflanke der Nato enthalten soll. Nach einem Bericht der "Süddeutschen
Zeitung" könnten die Finanzhilfen zusammen im dreistelligen Millionenbereich
liegen.

Entschädigungszahlungen könnten Tür für weitere Forderungen öffnen

Um die Entschädigungszahlungen wurde allerdings bis zuletzt gerungen. Es ist ein heikles Thema, weil damit die Tür für Forderungen aus anderen Ländern
geöffnet werden könnte. So gibt es auch aus Griechenland fast 80 Jahre nach Ende
des Zweiten Weltkriegs noch Forderungen nach Entschädigung für die von
Nazi-Deutschland verursachten Kriegsschäden.

In Polen leben heute noch rund 40 000 Menschen, die einst Opfer der
deutschen Besatzer waren, wie Agnieszka Lada-Konefal vom Deutschen
Polen-Institut in Darmstadt sagt. Manche hätten sich etwa damals als Kinder oder
Jugendliche am polnischen Widerstand beteiligt. "Es wäre in symbolischer, aber
auch in praktischer Hinsicht einfach wichtig, dass diese alten, kranken Leute
Unterstützung bekommen."

Geld aus dem Finanzpaket soll auch für den Bau des Deutsch-Polnischen Hauses in Berlin fließen. Das Haus soll an die komplizierte deutsch-polnische
Geschichte und die brutale deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs
(1939-1945) erinnern und einen Ort des Gedenkens für die polnischen Opfer
schaffen. Das Kabinett beschloss in der vergangenen Woche einen Entwurf, wie das
Dokumentationszentrum inhaltlich aufgebaut werden soll.

Antideutsche Stimmung der PiS-Regierung zerrüttete das Verhältnis

Polen dringt schon lange auf eine Wiedergutmachung für die durch den Zweiten Weltkrieg und die Besatzung erlittenen Schäden. Die nationalkonservative
PiS-Regierung, die das Land von 2015 bis 2023 führte, forderte von Deutschland
Reparationen in Höhe von mehr als 1,3 Billionen Euro. Dies und die ständige
antideutsche Stimmungsmache führender PiS-Vertreter zerrütteten das bilaterale
Verhältnis in den vergangenen Jahren.

Unter der seit Dezember amtierenden Mitte-Links-Regierung Donald Tusks ist
das Klima nun deutlich besser geworden. Doch auch Tusk betonte bei seinem
Antrittsbesuch im Februar in Berlin: "Im formalen Sinne wurden die Reparationen
schon vor vielen Jahren abgeschlossen. Aber die materielle und moralische
Wiedergutmachung wurde nie realisiert." Ein Ausgleich von Rechnungen sei nötig,
man müsse nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit suchen, ohne die gegenseitigen
Beziehungen zu belasten.

Gutes Verhältnis zu Polen wird wichtiger

Seit dem Regierungswechsel in Polen wird auch das Format des sogenannten
Weimarer Dreiecks zwischen Polen, Deutschland und Frankreich wieder mit neuem
Leben gefüllt. Doch in Frankreich droht nach den Parlamentswahlen eine
Machtübernahme durch das rechtsnationale Rassemblement National (RN) von Marine
Le Pen, das zeigte schon die erste Abstimmungsrunde. Ein solcher Umschwung
könnte die Achse Berlin-Paris schwächen - umso wichtiger wäre aus deutscher
Sicht ein gutes Verhältnis zu Polen.

"Es gibt die Chance, dass die deutsch-polnischen Beziehungen dadurch noch
aktiver werden", sagt Expertin Lada-Konefal. Allerdings müsse die
Bundesregierung zur Kenntnis nehmen, dass Polen mittlerweile sehr viel stärker
und selbstbewusster geworden sei - auch durch seine Rolle als Frontstaat im
Ukraine-Krieg und wichtiger Verbündeter Kiews. Auch Tusk halte deutlich mehr
Distanz zu Berlin, als dies in seiner ersten Amtszeit von 2007 bis 2014 der Fall
war. "Die Zeiten sind vorbei, wo Deutschland mit jedem Vorschlag kommt und die
Polen klatschen."

Scholz und Co. schon am Nachmittag zurück in Berlin

Bei den Konsultationen sind auch Vizekanzler Robert Habeck von den Grünen
und Finanzminister Christian Lindner von der FDP dabei, die seit Wochen mit
Scholz um einen Haushaltsplan für 2025 ringen. Schon mittags reisen sie zusammen
mit den anderen Kabinettsmitgliedern wieder zurück nach Berlin, um den
Bundestagsfraktionen über den Stand der Verhandlungen zu berichten. Bis Ende der
Woche soll es ein Ergebnis geben./dhe/DP/zb

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