26.06.2024 18:05:56 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2: Kabinett beschließt erleichterte Ausweisung

(neu: mehr Details und Hintergrund)

BERLIN (dpa-AFX) - Die Ausländerbehörden der Länder sollen Menschen, die
terroristische Taten gutheißen, künftig leichter ausweisen und damit im
Einzelfall vielleicht auch eher abschieben können. Das Bundeskabinett billigte
am Mittwoch nach Angaben aus Regierungskreisen einen entsprechenden Entwurf von
Innenministerin Nancy Faeser (SPD).

Demnach soll eine Ausweisung - also der Entzug einer Aufenthaltserlaubnis -
schon nach Billigung einer einzelnen terroristischen Straftat ermöglicht werden.
Zur Frage, was als Verbreitung eines Inhalts gilt, wird in der Begründung des
Entwurfs auf ein Urteil des Landgerichts Meiningen verwiesen, wonach hierfür
nicht nur das Erstellen von entsprechenden Inhalten Voraussetzung sei, sondern
etwa auch das Markieren eines Beitrags mit "Gefällt mir" in sozialen Netzwerken
wie Youtube, Instagram oder Tiktok.

Die Bundesinnenministerin erklärte nach dem Kabinettsbeschluss jedoch auf
Nachfrage, es gehe "nicht um den kleinen Klick und den kurzen Like", sondern
darum, "dass wirklich widerwärtige, terroristische Inhalte verherrlicht und
gepostet werden". Die in der Begründung des Entwurfs zur Frage der Verbreitung
von Inhalten zitierte Entscheidung in einem Strafverfahren sei von
verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu etwaigen Ausweisungen zu unterscheiden,
hieß es ergänzend aus ihrem Ministerium - "insofern wird es hier auf die
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte ankommen".

Die Bundesregierung reagiert mit ihrem Vorhaben auf Hasspostings im Netz
etwa nach dem Angriff der islamistischen Hamas auf Israel oder nach dem
tödlichen Messerangriff während einer islamkritischen Veranstaltung in Mannheim.
Dabei tötete ein Afghane Ende Mai einen Polizisten. Der 25-jährige Täter war als
Jugendlicher nach Deutschland gekommen. Eine Aufenthaltserlaubnis besaß er
zuletzt, weil er zwei Kinder mit einer Frau hat, die deutsche Staatsbürgerin
ist.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte die Gesetzesverschärfung nach der
Attacke von Mannheim in einer Regierungserklärung angekündigt. Faeser sagte:
"Wir gehen hart gegen islamistische und antisemitische Hasskriminalität im Netz
vor."

Um das Vorhaben möglichst rasch ins parlamentarische Verfahren zu bringen,
soll der Entwurf als Änderungsantrag an einen Gesetzentwurf zur Stärkung der
frühen Öffentlichkeitsbeteiligung in Planungs- und Genehmigungsverfahren
angedockt werden, der inhaltlich nichts damit zu tun hat. Der Sprecher des
Bundesinnenministeriums, Maximilian Kall, wies darauf hin, dass gegen
Ausweisungen grundsätzlich vor den Verwaltungsgerichten geklagt werden könne.

Fachmann für Migrationsrecht findet das Vorhaben fragwürdig

Der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Deutschen
Anwaltverein (DAV), Thomas Oberhäuser, hält den nun vom Kabinett beschlossenen
Entwurf für nicht zielführend. "Man muss schon sehr viel juristische Fantasie
entwickeln, um das Setzen eines "Likes" als Verbreitung zu definieren", sagte
der Rechtsanwalt. Auch sei für Laien oftmals nicht immer gleich auf Anhieb zu
erkennen, ob es sich im Einzelfall um einen terroristischen Inhalt handelt oder
nicht. Das habe zuletzt beispielsweise der Fall der Präsidentin der Technischen
Universität Berlin, Geraldine Rauch, gezeigt.

Rauch steht in der Kritik, weil sie einen antisemitischen Post auf der
Plattform X im Kontext des Gaza-Kriegs mit einem "Gefällt mir" markiert hatte.
Dabei ging es um einen Beitrag mit Fotos von Demonstranten, die ein Bild des
israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu mit aufgemaltem Hakenkreuz
hochhalten. Rauch entschuldigte sich und erklärte, sie habe den Beitrag wegen
seines Textes gelikt und das darunter gepostete Bild nicht genauer betrachtet.

Ein schwerwiegendes Interesse des deutschen Staates an einer Ausweisung soll laut Faesers Entwurf künftig auch angenommen werden, wenn jemand bestimmte
Straftaten in einer Art und Weise billigt und belohnt, die den öffentlichen
Frieden stören könnte. In diesem Fall müsste eine strafgerichtliche Verurteilung
vor einer Ausweisung nicht erst abgewartet werden.

Linken-Politikerin sieht autoritäre Tendenzen

"Dass Innenministerin Faeser nun offenbar plant, Menschen wegen eines
Postings in den sozialen Medien auszuweisen", sei der vorläufige Höhepunkt einer
besorgniserregenden Entwicklung, sagt die rechtspolitische Sprecherin der Linken
im Bundestag, Clara Bünger. Wenn es um autoritär regierte Staaten wie die Türkei
oder Russland gehe, empörten sich deutsche Politiker zu Recht darüber, dass
Menschen dort wegen eines "Likes" in den sozialen Medien verfolgt oder gar
inhaftiert werden könnten - "allerdings bewegt sich die Bundesrepublik längst
selbst in diese Richtung".

Habeck: Islamismus gehört nicht zu Deutschland

Positiv beurteilt dagegen Vizekanzler Robert Habeck das Vorhaben. "Es ist
eine große Errungenschaft und Stärke unseres Landes, dass verfolgte Menschen in
Deutschland Schutz finden können." Wer aber die liberale Grundordnung verhöhne,
indem er Terrorismus bejubele und Morde feiere, habe sein Bleiberecht verwirkt.
Deshalb werde jetzt das Aufenthaltsrecht entsprechend geändert. "Der Islam
gehört zu Deutschland, der Islamismus nicht", fügte Habeck hinzu.

Die stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion, Andrea Lindholz (CSU),
hätte sich eine weiterreichende Reform gewünscht. Sie sagte: "Angesichts von
massenhaftem Antisemitismus und Kalifats-Demos auf deutschen Straßen muss jede
antisemitische und antidemokratische Straftat regelmäßig zu einer Ausweisung
führen."

Rechtsanwalt Oberhäuser sagte, es sei "völlig wahnsinnig" zu glauben, dass
die Ausländerbehörden künftig im großen Stil nach "Gefällt mir"-Posts in
sozialen Medien schauen könnten. Besser wäre es, wenn jemand einmal eine
Terrortat im Netz bejubelt, dies zum Anlass für ein Gespräch eines Vertreters
der Sicherheitsbehörden mit dem Ausländer zu nehmen, "um festzustellen, ob er
gefährlich ist".

Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jochen Kopelke, begrüßte den Kabinettsbeschluss, den er als klares Signal an Terrorsympathisanten
bezeichnete. Er sagte, die Polizei und alle weiteren Behörden müssten aber auch
so ausgestattet werden, dass ein spürbarer Verfolgungsdruck aufgebaut werden
könne.

Zu prüfen sei im Einzelfall auch eine persönliche Betroffenheit, sagte
Oberhäuser, etwa wenn ein Palästinenser aufgrund der israelischen
Militäroperation im Gazastreifen Angst um seine dort lebenden Kinder
beziehungsweise Angehörige durch den Krieg verloren habe. Selbst wenn aus
Gründen der Gefahrenabwehr eine Ausweisung angeordnet werde, müsse vor einer
möglichen Abschiebung geprüft werden, ob womöglich Gründe für eine Duldung
existieren./abc/DP/jha

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