18.06.2024 07:20:18 - dpa-AFX: ROUNDUP 2/Keine Einigung zu EU-Spitzenposten: Von der Leyen muss warten

(Neu: Weitere Details)

BRÜSSEL (dpa-AFX) - Der Poker um die Neubesetzung von EU-Spitzenposten nach
der Europawahl geht in die Verlängerung: Die Staats- und Regierungschefs der
EU-Länder konnten sich in der Nacht zum Dienstag bei einem Gipfeltreffen in
Brüssel nicht abschließend auf alle Details des geplanten Personalpakets
verständigen. Dieses sieht nach einer Grundsatzvereinbarung der drei großen
Parteienfamilien vor, dass die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen weitere fünf
Jahre Präsidentin der mächtigen und für EU-Gesetzgebungsvorschläge zuständigen
EU-Kommission bleibt.

Die liberale estnische Regierungschefin Kaja Kallas würde demnach neue
EU-Chefdiplomatin werden. Zum Präsidenten des Gremiums der Staats- und
Regierungschefs soll der frühere portugiesische Regierungschef António Costa
gewählt werden. Als Ratspräsident wäre der Sozialdemokrat dann dafür zuständig,
die EU-Gipfel vorzubereiten und die Arbeitssitzungen zu leiten.

Nächstes Treffen schon kommende Woche

Ende nächster Woche kommen die Staats- und Regierungschefs zu einem weiteren Gipfel zusammen, bei dem es eigentlich vor allem um wichtige Zukunftsthemen
gehen soll. Bei ihm muss nun erneut über die Spitzenposten beraten werden. Von
Diplomaten hieß es, es gehe letztlich nur noch um Details. Die sechs Staats- und
Regierungschefs, die für die drei großen Parteienfamilien verhandelten, seien
sich bei den Namen von der Leyen, Costa und Kallas einig.

Für die EVP verhandeln der polnische Ministerpräsident Donald Tusk und der
griechische Regierungschef Kyriakos Mitsotakis, für die Sozialdemokraten
Bundeskanzler Olaf Scholz und der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez. Die
Liberalen setzen auf Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron und den scheidenden
niederländischen Ministerpräsidenten Mark Rutte als Verhandlungsführer.

Der noch amtierende EU-Ratspräsident Charles Michel sagte in der Nacht, das
Auseinandergehen ohne endgültige Einigung sei für ihn keine Überraschung
gewesen. Das Treffen sei geplant worden, um die Gelegenheit zu einem
ausführlichen Meinungsaustausch zu haben.

Streit um Dauer einer Postenbesetzung

Ein Grund für Streit am Montagabend war nach Angaben von Diplomaten, dass
die Parteienfamilie mit den Parteien CDU und CSU erreichen wollte, dass die
Besetzung des Amtes des EU-Ratspräsidenten nicht sofort für fünf Jahre geregelt
wird. Dies würde bedeuten, dass sie theoretisch nach zweieinhalb Jahren Anspruch
auf das Amt erheben könnte. Die Sozialdemokraten lehnten dies nach Angaben aus
Verhandlungskreisen ab.

Der Ratschef wird anders als Kommissionspräsidentin und Außenbeauftragte
eigentlich nur für 2,5 Jahre gewählt. Zuletzt war es allerdings so gewesen, dass
der Posten bei den Personalverhandlungen wie die anderen Posten für fünf Jahre
einer Parteienfamilie versprochen wurde.

Mitte-Rechts-Bündnis beansprucht Top-Job

Die bürgerlich-konservative EVP war bei der Europawahl Anfang Juni vor den
Sozialdemokraten und den Liberalen die mit Abstand stärkste politische Kraft
geworden. Daher hat sie die stärkste Position in den Verhandlungen und
beansprucht die Präsidentschaft der EU-Kommission für sich.

Diese gilt als die mit Abstand wichtigste Position, die nach der Europawahl
neu zu besetzen ist. Der Amtsinhaber ist Chef von rund 32 000 Mitarbeitern, die
unter anderem Vorschläge für neue EU-Gesetze machen und die Wahrung der
Europäischen Verträge überwachen. Zudem sitzt er bei fast allen großen
internationalen Gipfeltreffen wie G7 oder G20 als EU-Repräsentantin mit am
Tisch.

Einfache Mehrheit reicht nicht

Notwendig für die Entscheidung im Gremium der Staats- und Regierungschefs
der EU-Staaten ist eine sogenannte verstärkte qualifizierte Mehrheit. Das heißt,
es mussten mindestens 20 der 27 EU-Staaten zustimmen und diese müssen zudem
mindestens 65 Prozent der Gesamtbevölkerung der EU repräsentieren.

Derzeit gehören im Europäischen Rat ein Dutzend Staats- und Regierungschefs
den Mitgliedsparteien des Mitte-Rechts Bündnisses EVP an. Danach folgen die
Gruppe der Liberalen, zu den insbesondere Frankreichs Präsident Macron zählt,
und die der sozialdemokratischen Staats- und Regierungschefs mit Politikern wie
Bundeskanzler Scholz. Damit von der Leyen eine zweite Amtszeit antreten kann,
müssen nach den Staats- und Regierungschefs auch die Abgeordneten des
Europäischen Parlaments grünes Licht geben.

Orban sieht Wahlergebnis ignoriert

Kritik an den Verhandlungen zwischen den drei großen Parteienfamilien kam in der Nacht zu Dienstag vom ungarischen Regierungschefs Viktor Orban, der 2021 mit
seiner Partei nach einem Streit um die Rechtsstaatlichkeit in seinem Land aus
der EVP ausgetreten war und seitdem keiner Parteienfamilie mehr angehört. Der
Ungar schrieb nach dem Gipfeltreffen, bei der Europawahl seien rechte Parteien
stärker geworden, Linke und Liberale hätten an Boden verloren - dennoch habe
sich die EVP nun mit den Sozialisten und Liberalen zusammengetan. "Heute haben
sie einen Deal geschlossen und die Spitzenjobs der EU unter sich aufgeteilt. Sie
scheren sich nicht um die Realität", schrieb Orban . "Der Wille des europäischen
Volkes wurde heute in Brüssel ignoriert."

Ob Orban sich offen gegen von der Leyen stellte, sagte er allerdings nicht.
Der kroatische Ministerpräsident Andrej Plenkovic betonte am frühen
Dienstagmorgen: "Bei der Kommissionspräsidentin habe ich keine Stimme gesehen,
die ihre Position infrage gestellt hätte." Von der Leyen verließ das
EU-Ratsgebäude, ohne sich öffentlich zu äußern./aha/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH