23.06.2024 15:21:46 - dpa-AFX: VERMISCHTES: Raubbau an der Natur? Studie widerlegt These zur Osterinsel

NEW YORK (dpa-AFX) - Um die meterhohen steinernen Statuen zu errichten,
waren riesige Menschengruppen nötig: So lautet eine gängige Theorie über die
Osterinsel. Die Moai genannten Monumente sprächen für eine einst blühende
Kultur, die aber irgendwann kollabierte, weil die Menschen sämtliche Bäume auf
der abgelegenen Pazifikinsel fällten und die Böden auslaugten. Die Gesellschaft
habe sich durch Raubbau an der Natur selbst zugrunde gerichtet. Nur scheint
diese Geschichte womöglich nicht zu stimmen.

Wahrscheinlich habe es nie eine derart große Bevölkerung auf der Insel
gegeben wie gemeinhin angenommen, heißt es in einer Studie, die im Fachmagazin
"Science Advances" vorgestellt wird. Den Berechnungen zufolge konnte die
abgelegene Pazifikinsel gar nicht rund 16 000 Menschen ernähren, sondern nur
etwa 3000 Menschen, schreibt das Forschungsteam um Dylan Davis von der
US-amerikanischen Columbia University.

Kein gesellschaftlicher Zusammenbruch

"Was wir gefunden haben, ist das Gegenteil der Kollaps-Theorie", erklärte
Davis. Die Bevölkerung habe mit den wenig fruchtbaren Böden und dem wenigen
Wasser auf der Insel vielmehr ein erstaunliches System entwickelt, um sich zu
ernähren. Auch andere archäologische Untersuchungen waren in den vergangenen
Jahren bereits zu dem Schluss gekommen, dass es vor der Ankunft der Europäer im
Jahr 1722 keinen gesellschaftlichen Zusammenbruch auf der Insel gab.

Die vulkanische Insel, auch Rapa Nui genannt, ist verhältnismäßig trocken
und die Küsten fallen steil ab, was sowohl Landwirtschaft als auch Fischerei
erheblich erschwert. Als zentral gilt vielen Forschenden die Nutzung
ausgeklügelter Steingärten. Die Menschen verteilten zum einen faustgroße Steine
direkt auf der Erde. Außerdem zerbrachen sie in einem aufwendigen Verfahren
Steine und arbeiteten diese in den Boden ein. Zusätzlich wurden große Steine zum
Schutz aufgestellt. In den Zwischenräumen pflanzten sie zahlreiche
Süßkartoffel-Varianten, einst die Hauptnahrungsquelle auf der Insel.

Bei der Auswertung von Satellitenbildern unterstützt die KI

Das Forschungsteam um Davis hatte eine Künstliche Intelligenz darauf
trainiert, auf Satellitenbildern in einer speziellen Infrarotansicht solche von
Menschen angelegten Steingärten zu erkennen. Denn nicht jeder Steinhaufen war
zwangsläufig früher auch ein Garten.

Im Ergebnis gehen die Forschenden davon aus, dass die Steingärten weniger
als ein halbes Prozent der Inselfläche ausmachten. Frühere Forschungen nahmen
viel größere Flächen an. Die nun identifizierten Flächen hätten ausgereicht, um
etwa 2000 Menschen mit Süßkartoffeln zu versorgen, heißt es in der Studie.
Außerdem hätten die Menschen noch Fisch und andere Meerestiere sowie Früchte wie
Bananen, Yamswurzel, Taro-Knollen und Zuckerrohr gegessen. In der Summe landet
das Forschungsteam bei einer Bevölkerung von etwa 3000 Menschen.

Leben trotz begrenzter Ressourcen

"Was wir hier wirklich sehen, ist, dass die Insel wegen der ökologischen
Einschränkungen nie viele Menschen ernähren konnte", erläuterte Davis. Die
Menschen hätten es im Gegenteil geschafft, ihre Lebensräume anzupassen und so
die Fläche, die sie bewirtschaften konnten, zu vergrößern. "Das ist kein
Beispiel für eine ökologische Katastrophe, sondern dafür, wie Menschen trotz
wirklich begrenzter natürlicher Ressourcen auf recht nachhaltige Weise über
lange Zeit hinweg überleben konnten."

Die Osterinsel wurde, weil sie so abgelegen ist, erst sehr spät besiedelt.
Wahrscheinlich kamen die aus Polynesien stammenden Menschen um das Jahr 1200 auf
die Insel. Heute gehört die Pazifikinsel zu Chile, auch wenn dessen Küste etwa
3500 Kilometer entfernt liegt. Die bekannten Felsskulpturen sind Teil des
Unseco-Weltkulturerbes und ziehen jedes Jahr zehntausende Touristen
an./kko/DP/he

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