19.06.2024 15:31:02 - dpa-AFX: ROUNDUP/Vereinte Nationen: Israel schützt Zivilisten in Gaza nicht genug

GENF (dpa-AFX) - Israel hat im Gaza-Krieg nach Einschätzung des
UN-Menschenrechtsbüros Zivilisten beim Einsatz von präzisionsgelenkten Bomben
nicht genügend geschützt. "Das Gebot, Mittel und Methoden der Kriegsführung so
zu wählen, dass zivile Schäden vermieden oder zumindest so gering wie möglich
gehalten werden, wurde bei der israelischen Bombenkampagne offenbar konsequent
verletzt", teilte der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, am
Mittwoch in Genf mit. Er legte einen Bericht mit dem Titel "Wahllose und
unverhältnismäßige Angriffe während des Konflikts in Gaza" vor. Israel wies den
Bericht zurück.

Juristin wirft Israel Kriegsverbrechen vor

Menschenrechtsexpertin und Juristin Navi Pillay warf Israel
Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Folter vor. Sie ist
die Vorsitzende der vom Menschenrechtsrat eingesetzten unabhängigen
Untersuchungskommission zur Lage in den von Israel besetzten Gebieten. Sie
stellte dort am Mittwoch formell den Bericht der Kommission über die Lage in den
Gebieten vor. Er war vergangene Woche veröffentlicht worden. Israel erlaube der
Kommission keinen Zugang, sagte sie. Damit verletzte Israel das Recht von
Opfern, auch in Israel, gehört zu werden, sagte sie.

Vorwurf: Israel ignoriert Zivilisten

In dem neuen Bericht über die Angriffe heißt es, Aussagen belegten, dass
Israel den gebotenen Schutz von Zivilisten ignoriert habe. Das UN-Büro zitiert
etwa aus der israelischen Zeitung "Haaretz", die im Oktober 2023 Aussagen eines
Militärsprechers zitierte. Der sagte demnach, es würden zwar Genauigkeit der
Ziele und das Ausmaß des Schadens abgewogen, aber "im Moment konzentrieren wir
uns auf das, was den maximalen Schaden verursacht".

Ein anderer Vertreter der Streitkräfte, der sich an die islamistische
Terrororganisation Hamas und die Bewohner des Gazastreifens wandte, sagte
demnach: "Menschliche Bestien werden entsprechend behandelt. Israel hat eine
totale Blockade über Gaza verhängt. Kein Strom und kein Wasser, nur Schäden. Ihr
wolltet die Hölle, ihr werdet die Hölle bekommen."

Das Büro hat sechs israelische Angriffe zwischen dem 9. Oktober und dem 2.
Dezember 2023 im Gazastreifen untersucht. Es geht davon aus, dass dabei Bomben
der Typen GBU-31, GBU-32 und GBU-39 zum Einsatz kamen, die durch Beton dringen
und mehrere Etagen eines Gebäudes zerstören können. Damit seien Wohnhäuser, eine
Schule, ein Flüchtlingslager und ein Markt angegriffen worden. Dabei seien
mindestens 218 Menschen getötet worden, vermutlich mehr. Bei einem Angriff mit
vermutlich neun GBU-31-Bomben am 2. Dezember habe die Zerstörung einen Kreis mit
130 Metern Durchmesser betroffen. Darin seien 15 Wohnhäuser zerstört und 14
weitere beschädigt worden.

Keine Angriffe mit zerstörerischen Bomben in besiedelten Gebieten

Nach dem Kriegsrecht, einem Teil des humanitären Völkerrechts, müssen zivile Einrichtungen bei Angriffen möglichst verschont werden. Wenn dort Kämpfer
vermutet werden, muss abgewogen werden, ob die Schäden der eingesetzten Mittel
nicht größer sein könnten als die erhofften Ziele. Es geht unter anderem um die
Prinzipien der Unterscheidung, Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit.

Selbst, wenn sich einer oder mehrere Terroristen oder Beteiligte an den
Massakern in Israel am 7. und 8. Oktober in einem Gebäude aufhielten, mache dies
nicht eine ganze Nachbarschaft zum legitimen Ziel eines Angriffs, heißt es in
dem Bericht. In Bezug auf die Bomben sagte der Leiter des UN-Menschenrechtsbüros
für die von Israel besetzten Gebiete, Ajith Sunghay, in Genf: "Solche Waffen in
einem dicht besiedelten Gebiet wie Gaza einzusetzen macht es äußerst schwierig,
wenn nicht gar unmöglich, die Prinzipien einzuhalten. Es ist ratsam, diese
Waffen nicht einzusetzen."

"Israels Methoden und Mittel, die es seit dem 7. Oktober im Gazastreifen
einsetzt, einschließlich des umfangreichen Einsatzes von Explosivwaffen mit
großflächiger Wirkung in dicht besiedelten Gebieten, haben nicht gewährleistet,
dass sie wirksam zwischen Zivilisten und Kämpfern unterscheiden", heißt es in
dem Bericht. Es könne sich auch um Verbrechen gegen die Menschlichkeit handeln.

Der Bericht kritisiert auch bewaffnete palästinensische Gruppen, die
Projektile auf Israel abfeuern, die Zivilisten treffen können. Das UN-Büro für
Menschenrechte erinnert daran, dass militärisches Material oder Personen nicht
in dicht bevölkerten Gebieten stationiert werden sollen.

Israel wirf UN-Menschenrechtsbüro Einseitigkeit vor

Israel warf dem UN-Menschenrechtsbüro wie schon oft eine antiisraelische
Haltung vor. "Es besteht daher kein Zweifel daran, dass das einzige Ziel dieses
thematischen Berichts darin besteht, Israel an den Pranger zu stellen und zu
verurteilen, während die Hamas-Terroristen im Gazastreifen weiter geschützt
werden", hieß es in einer Stellungnahme der Botschaft in Genf. Israel bekämpfe
Hamas und andere bewaffnete Gruppen, nicht die Zivilbevölkerung. Hamas verstecke
sich aber absichtlich unter Zivilisten, um möglichst großen Schaden zu
verursachen.

Mutter von Geisel: will meine Tochter wieder umarmen

In der Aussprache über den Bericht der Untersuchungskommission zu den
Vorgängen in den besetzten Gebieten überließ die israelische Botschafterin in
Genf das Wort der Mutter einer Geisel. Meirav Leshem Gonens Tochter Romi (23)
wurde am 7. Oktober von Terroristen in den Gazastreifen entführt. Sie warf der
Kommission vor, sexuelle Gewalt gegen Entführte nicht genügend berücksichtigt zu
haben. Alle sollten zusammen gegen Terroristen kämpfen, es müsse mehr für die
Geiseln getan werden, sagte sie, und an die Adresse des Präsidenten des Rates:
"Bitte helfen Sie mir, dass ich meine Tochter wieder in den Arm nehmen kann."

Israel hatte der Hamas zuvor schon wiederholt vorgeworfen, sie operiere in
Schulen, Moscheen und Krankenhäusern und missbrauche dabei Zivilisten als
menschliche Schutzschilde. Sie nehme außerdem den Tod von Zivilisten bewusst in
Kauf, um die öffentliche Meinung weltweit zu beeinflussen. Israel hat auch
wiederholt darauf verwiesen, dass die Hamas und andere Terrorgruppen im
Gazastreifen Tausende Raketen in Richtung Israel abgefeuert haben - ohne jede
Rücksicht auf die israelische Zivilbevölkerung./oe/DP/ngu

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