07.07.2024 16:40:33 - dpa-AFX: ROUNDUP/'Tag der Störung': Massenproteste für Geisel-Deal in Israel

TEL AVIV/GAZA/KAIRO (dpa-AFX) - Mit einem "Tag der Störung" haben Tausende
Israelis in Tel Aviv und anderen Städten des Landes für einen Geisel-Deal
demonstriert. Dabei legten sie zeitweise auch den Verkehr lahm. Mit dem Protest
neun Monate nach Kriegsbeginn wollen sie den Druck auf die Regierung von
Ministerpräsident Benjamin Netanjahu verstärken, um auf dem Verhandlungswege die
Freilassung von rund 120 Geiseln in der Gewalt der islamistischen Hamas zu
erreichen.

Am 7. Oktober hatten Terroristen der Hamas sowie anderer palästinensischer
Gruppierungen Israel überfallen und 1200 Menschen getötet. Zudem wurden rund 250
weitere Menschen als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt. Das beispiellose
Massaker war Auslöser des Gaza-Krieges. Rund 120 Geiseln befinden sich nach
israelischen Schätzungen immer noch in der Gewalt ihrer Entführer - unter ihnen
sind auch Kinder, Frauen sowie ältere Menschen. Viele von ihnen dürften nicht
mehr am Leben sein.

Proteststart zur Uhrzeit des Hamas-Massakers

Die Proteste begannen um 06.29 Uhr (Ortszeit), jener Uhrzeit, zu der der
Überfall der Hamas begonnen hatte. Protestteilnehmer in Tel Aviv trugen etwa
Schilder mit der Aufschrift "Wir sind alle Geiseln". Die Polizei nahm nach
eigenen Angaben fünf Demonstranten fest, die eine Straßenkreuzung im Norden der
Metropole blockierten.

In Jerusalem setzten sich Protestteilnehmer auf die Schienen der
Straßenbahn, die durch das Stadtzentrum fährt. Nahe der Grenze zum Gazastreifen
ließen Aktivisten schwarze und gelbe Luftballons steigen
- die Farbe Gelb symbolisiert für sie das Schicksal der Geiseln. Die
Blockaden störten auch den Berufsverkehr. In Israel beginnt am Sonntag die
Arbeitswoche.

Mögliche Fortschritte bei Verhandlungen befeuern Proteste

Bereits am Samstagabend hatten in Israel Zehntausende demonstriert. In Tel
Aviv wurde auf einer Großleinwand ein Video mit einer ehemaligen Geisel
eingespielt. Der 22-jährige Almog Meir Jan, den das israelische Militär vor
einem Monat befreit hatte, sagte darin: "Wir brauchen einen Deal, damit alle
Mütter ihre Kinder und Ehemänner umarmen können, so wie ich jetzt meine Mutter
jeden Morgen umarme."

Befeuert hatten die Proteste Berichte, wonach es nach langem Stillstand
Fortschritte bei den von Katar, Ägypten und den USA vermittelten Verhandlungen
geben soll. Ägypten werde schon in diesen Tagen mit allen Seiten intensive
Beratungen führen, berichtete der staatsnahe Fernsehsender Al-Kahira unter
Berufung auf hohe ägyptische Regierungsbeamte. Eine Delegation hoher US-Beamter
traf am Sonntagnachmittag in Kairo ein.

Die seit Monaten andauernden Verhandlungen waren zuletzt ins Stocken
geraten. Die Hamas forderte bislang die sofortige Beendigung des Krieges seitens
Israels im Gegenzug für eine Geiselfreilassung. Israel will sich hingegen die
Option für die Fortsetzung des Krieges offenhalten, um die Hamas als
militärische Formation und Regierungsmacht im Gazastreifen zu zerschlagen.

Medienberichten zufolge soll die Hamas inzwischen ihre strikten Forderungen
etwas gelockert haben. Der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad,
David Barnea, hatte am Freitag wieder mit der Regierung in Katar verhandelt, die
in direktem Kontakt mit der Hamas steht. Israelische Medien berichteten danach
unter Berufung auf Delegationskreise von einem gewissen Optimismus. Andere
Beobachter verwiesen darauf, dass die Hamas einzelne Änderungen im Text des
Vertragsabkommens vorgeschlagen habe, aber in der Sache weiterhin wenig Bewegung
zeige.

Misstrauen gegenüber Netanjahu

Viele Israelis misstrauen aber auch ihrem Regierungschef Netanjahu. Eine
Demonstrantin, deren Sohn während des Terrorüberfalls vor neun Monaten in den
Gazastreifen entführt wurde, rief während einer Kundgebung in Tel Aviv der
Zeitung "Haaretz" zufolge: "Netanjahu, wir haben gesehen, wie Sie immer wieder
die Abkommen im Moment der Wahrheit torpediert und unsere Herzen jedes Mal in
Stücke gerissen haben."

Das israelische Militär setzte indes seine Einsätze im Gazastreifen fort.
Die Armee teilte am Samstag mit, mehrere Kämpfer der Hamas im Areal einer
ehemaligen Schule des UN-Flüchtlingshilfswerks UNRWA angegriffen zu haben. Nach
palästinensischen Angaben kamen bei dem Luftangriff 16 Palästinenser ums Leben,
50 weitere wurden verletzt.

Nach UN-Angaben diente der Gebäudekomplex als Unterkunft für 2000 in diesem
Krieg vertriebene Menschen. Laut israelischer Armee soll das Areal jedoch als
Versteck der Hamas für Attacken auf das israelische Militär gedient haben. Die
Angaben beider Seiten ließen sich nicht unabhängig überprüfen.

Weiterer Raketenbeschuss an der Grenze zum Libanon

Im Norden Israels kam es erneut zu Konfrontationen zwischen dem israelischen Militär und der Schiiten-Miliz Hisbollah im Libanon. Die Hisbollah habe 20
Raketen und Drohnen auf Israel abgeschossen, teilte die israelische Armee mit.
Die meisten Geschosse seien von der Luftabwehr abgefangen worden. Die Hisbollah
bekannte sich der libanesischen Nachrichtenagentur NNA zufolge zu dem Angriff.
Es habe sich um Vergeltung für die gezielte Tötung eines Hisbollah-Mitglieds in
der libanesischen Bekaa-Ebene gehandelt.

Seit Beginn des Gaza-Krieges schießt die vom Iran unterstützte Hisbollah mit Raketen, Artillerie- und Panzerabwehrgranaten regelmäßig auf den Norden Israels
- nach eigener Darstellung aus "Solidarität" mit der Hamas in Gaza. Israel
bekämpft im Gegenzug mit Luft- und Artillerieangriffen die Stellungen der
Hisbollah im Süden des Libanons, aber auch Ziele tief im Landesinneren des
Libanons. Auf beiden Seiten hat es bereits Todesopfer gegeben. Es ist die
schwerste Eskalation seit dem zweiten Libanon-Krieg 2006./ln/raf/gm/DP/he

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