27.06.2024 15:44:59 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP/Machtprobe in Bolivien: Generäle scheitern mit Militärputsch

LA PAZ (dpa-AFX) - In Bolivien haben abtrünnige Militärs die Regierung
herausgefordert und einen Putschversuch unternommen. Präsident Luis Arce gelang
es allerdings, den versuchten Staatsstreich in dem südamerikanischen Land zu
vereiteln. Die Hauptverantwortlichen wurden festgenommen und sollten bereits am
Donnerstag vor Gericht gestellt werden.

Das Andenland stand für einige Stunden am Rande einer Staatskrise: Soldaten
stürmten am Mittwoch einen zentralen Platz von La Paz, gepanzerte Fahrzeuge
rammten die Tore des Regierungspalastes. Staatschef Arce und der abtrünnige
General Juan José Zúñiga standen sich auf den Fluren des Regierungspalastes
Quemado Auge in Auge gegenüber. "Ziehen Sie alle Soldaten zurück. Das ist ein
Befehl", rief der Präsident. "Werden Sie mir nicht gehorchen?"

Kurz nach dem Schlagabtausch enthob Arce den Heereschef seines Amtes und
tauschte die gesamte Führungsriege der Streitkräfte aus. Die neuen Chefs der
Teilstreitkräfte ordneten daraufhin den Rückzug der Truppen aus der Innenstadt
des Regierungssitzes La Paz an. "Ich danke dem bolivianischen Volk", rief Arce
danach vom Balkon des Regierungspalastes. Auf der Nachrichtenplattform X schrieb
er: "Wir werden die Demokratie und den Willen des bolivianischen Volkes
verteidigen - koste es, was es wolle."

Putsch-Generälen droht bis zu 30 Jahren Haft

Die Generalstaatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen die Ex-Chefs von
Heer und Marine, General Juan José Zúñiga und Vizeadmiral Juan Arnez Salvador,
ein. Als Hauptverantwortliche des Putschversuchs werden ihnen laut Medien
Terrorismus und der bewaffnete Aufstand gegen die Sicherheit und Souveränität
des Landes vorgeworfen. Im Falle einer Verurteilung droht ihnen bis zu 30 Jahre
Haft.

In Bolivien haben sich immer wieder Generäle an die Macht geputscht. In den
1960er bis 1980er Jahren griffen die Militärs mehrere Dutzend Mal nach der
Macht. Seit der Unabhängigkeit 1825 lebte das Land rund 100 Jahre unter
Militärherrschaft.

Unter Zúñigas Kommando hatten Soldaten den zentralen Murillo-Platz von La
Paz besetzt. Ganz ohne Blutvergießen verliefen die dramatischen Momente nicht:
Nach Angaben der Regierung wurden neun Menschen verletzt. "Die Kommandeure der
Streitkräfte (...) verbreiteten nicht nur Angst und Schrecken, sondern
gebrauchten auch Schusswaffen gegen das Leben, die Menschlichkeit und die
Integrität des bolivianischen Volkes", schrieb Boliviens Innenminister Eduardo
del Castillo auf X.

Putschversuch könnte sich gegen Kandidatur von Ex-Präsident gerichtet haben

Das Motiv für den Putschversuch war zunächst unklar. "Genug der Verarmung
unseres Heimatlandes, genug der Demütigung des Militärs. Wir sind gekommen, um
unseren Unmut zu äußern", sagte General Zúñiga beim Vorrücken auf den
Regierungspalast.

Später legte Zúñiga nahe, sein Putsch sei sogar mit Präsident Arce selbst
abgestimmt gewesen. "Der Präsident hat mir gesagt, dass die Situation sehr
schlecht ist. Es sei notwendig, etwas vorzubereiten, um seine Popularität zu
steigern", sagte General Zúñiga vor seiner Festnahme im Fernsehen. "Ich habe ihn
gefragt: "Holen wir die Panzer raus" und er hat geantwortet: "Holt sie raus"."
Die Regierung wies die Darstellung zurück. "Das Ziel von Zúñiga war es, die
Macht im Land zu übernehmen, gegen den Willen des Volkes", sagte Innenminister
Del Castillo.

Möglicherweise richtete sich der Putschversuch gegen eine erneute
Präsidentschaftskandidatur des früheren Staatschefs Evo Morales (2006-2019).
Berichten zufolge hatte Zúñiga gesagt, Morales dürfe nicht als Präsident
zurückkehren, und gedroht, sich ihm in diesem Fall in den Weg zu stellen. Wegen
dieser Äußerungen sei Zúñiga bereits am Dienstagabend darüber informiert worden,
dass er seinen Posten räumen müsse, sagte Verteidigungsminister Edmundo Novillo.

Morales und Arce kämpfen um die Macht

Der linke Staatschef Morales - der erste indigene Präsident Boliviens
- war 2019 unter dem Druck des Militärs zurückgetreten, nachdem ihm
von der Opposition und internationalen Wahlbeobachtern Betrug bei der
Präsidentenwahl vorgeworfen worden war. Obwohl ihm das in mehreren
Gerichtsentscheidungen eigentlich untersagt wurde, will Morales 2025 erneut bei
der Präsidentenwahl kandidieren. Derzeit ringen Morales und sein ehemaliger
Verbündeter Arce um die Macht in der Regierungspartei MAS.

Bolivien gehört zu den strukturschwächsten Staaten in Lateinamerika. Das
Binnenland hat rund 12 Millionen Einwohner und ist etwa dreimal so groß wie
Deutschland. Rund die Hälfte der Bolivianer gehört indigenen Völkern an. Damit
ist Bolivien nach Guatemala in Lateinamerika das Land mit dem zweitgrößten
indigenen Bevölkerungsanteil. Wegen der schlechten Wirtschaftslage kommt es
immer wieder zu sozialen Protesten.

Auch Morales verurteilte den Putschversuch umgehend. "Wir sind überzeugt,
dass die Demokratie der einzige Weg ist, um Differenzen zu lösen, und dass die
Institutionen und die Rechtsstaatlichkeit respektiert werden müssen", schrieb er
auf X. "Wir bekräftigen unsere Forderung, dass alle an diesem Verbrechen
Beteiligten verhaftet und vor Gericht gestellt werden müssen."

Internationale Unterstützung stärkt Arce den Rücken

Internationale Organisationen sowie die Staatschefs mehrerer
lateinamerikanischer Präsidenten erklärten ihre Solidarität mit der demokratisch
gewählten Regierung Boliviens. "Ich verurteile entschieden die Versuche, die
demokratisch gewählte Regierung Boliviens zu stürzen", schrieb
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am späten Mittwochabend auf der
Plattform X. Die Europäische Union stehe an der Seite der Demokratien.

Auch UN-Generalsekretär António Guterres rief alle Akteure der
bolivianischen Gesellschaft, einschließlich der Streitkräfte, dazu auf, die
konstitutionelle Ordnung des Landes zu schützen und ein "Klima des Friedens"
aufrechtzuerhalten. Der Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten
(OAS), Luis Almagro, schrieb auf X: "Für die Demokratie: alles. Für Gewalt:
nichts."/juw/DP/jha

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