21.05.2024 16:55:49 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 5: Kritik und Zustimmung für Anträge gegen Israel und Hamas

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TEL AVIV/GAZA (dpa-AFX) - Mit außergewöhnlich scharfer Kritik hat Israel auf einen Antrag des Chefanklägers des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) auf
Haftbefehle reagiert. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu nannte Karim Khan
einen "der großen Antisemiten der Moderne". Khan hatte zuvor Haftbefehle gegen
Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant sowie drei Anführer der
palästinensischen Terrororganisation Hamas wegen mutmaßlicher Verbrechen gegen
die Menschlichkeit beantragt. Unterstützung bekam Israel von seinem wichtigsten
Verbündeten, den USA. Andere wie etwa Frankreich stärkten dem Strafgerichtshof
den Rücken.

Weder die USA noch Israel erkennen den Strafgerichtshof an. Die
palästinensischen Gebiete aber sind Vertragsstaat. Daher darf Khan auch
ermitteln. Ob die Haftbefehle tatsächlich erlassen werden, müssen nun die
Richter entscheiden. Wenn sie die Tatvorwürfe als bestätigt ansehen, kann das
Hauptverfahren gegen die Beschuldigten eingeleitet werden.

Das Gericht hat zwar keinerlei Möglichkeiten, Haftbefehle selbst zu
vollstrecken. Jedoch ist die Bewegungsfreiheit der Gesuchten dadurch erheblich
eingeschränkt - denn alle Vertragsstaaten des Gerichts sind verpflichtet,
Beschuldigte mit offenen Haftbefehlen festzunehmen und nach Den Haag zu
überstellen, sobald sie sich in ihrem Land befinden.

Scholz: Hamas-Gräueltaten nicht mit Israels Kriegsführung vergleichbar

Aus Sicht von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lassen sich die Gräueltaten
der Terroristen nicht im Entferntesten mit Israels Kriegsführung vergleichen.
"Die Bundesregierung weist jeden Anschein von Vergleichbarkeit auf das
Entschiedenste zurück", sagte ein Scholz-Sprecher der Bild"-Zeitung (Mittwoch).
Zu den Anträgen auf Haftbefehle gegen drei Hamas-Anführer sagte der Sprecher:
"Angesichts der Gräueltaten des 7. Oktober, der andauernden Geiselhaft vieler
Menschen und der ja weiterhin stattfindenden Angriffe der Hamas auf Israel ist
dies nur folgerichtig."

Zu möglichen Haftbefehlen gegen Israels Ministerpräsidenten Benjamin
Netanjahu und Verteidigungsminister Joav Galant ließ Scholz erklären: "Die
Bundesregierung hat stets betont, dass Israel das Recht hat, sich im Einklang
mit dem Völkerrecht gegen die mörderischen Angriffe der Hamas zu verteidigen.
Vor diesem Hintergrund wiegen die Vorwürfe des Chefanklägers schwer und müssen
belegt werden. Deutschland geht davon aus, dass dabei maßgeblich berücksichtigt
wird, dass Israel ein demokratischer Rechtsstaat mit einer starken, unabhängigen
Justiz ist."

Israels Verteidigungsminister Galant sagte am Dienstag, Khan ziehe eine
"abscheuliche Parallele" zwischen Israel und der Hamas. Israel kämpfe gegen eine
brutale Terrororganisation, die Gräuel an israelischen Kindern, Frauen und
Männern begangen habe und die jetzt ihr eigenes Volk als Schutzschild
missbrauche.

Netanjahu: Khan gießt Öl in die Feuer des Antisemitismus

Netanjahu sagte, Khan gieße mit seiner Entscheidung "hartherzig Öl in die
Feuer des Antisemitismus, die auf der ganzen Welt wüten". Er verglich Khan sogar
mit den NS-Scharfrichtern und warf ihm "Blutverleumdung" vor - dieser auch als
Ritualmordlegende bekannte Begriff bezieht sich auf antisemitische falsche
Anschuldigungen gegen Juden seit dem Mittelalter.

Khan verfolgt Verbrechen während des Gaza-Kriegs. Er beantragte Haftbefehle
auch gegen den Gaza-Chef der Hamas, Jihia al-Sinwar, den Auslandschef Ismail
Hanija sowie gegen Sinwars Stellvertreter Mohammed Deif. Netanjahu und Galant
werden von ihm unter anderem beschuldigt, für das Aushungern von Zivilisten als
Methode der Kriegsführung sowie für willkürliche Tötungen und zielgerichtete
Angriffe auf Zivilisten verantwortlich zu sein.

USA nehmen Israel gegen Vorwürfe in Schutz

Die USA nahmen ihren Verbündeten demonstrativ gegen die Vorwürfe in Schutz.
"Entgegen den Anschuldigungen des Internationalen Gerichtshofs gegen Israel
handelt es sich nicht um Völkermord", sagte US-Präsident Joe Biden am Montag im
Rosengarten des Weißen Hauses anlässlich einer Feier für die Errungenschaften
amerikanischer Juden in den die USA. "Wir weisen das zurück. Wir stehen an der
Seite Israels." Es gebe keine Gleichwertigkeit zwischen Israel und der - von den
USA als Terrororganisation eingestuften - islamistischen Hamas.

Frankreich stärkt Strafgerichtshof den Rücken

"Frankreich unterstützt den Internationalen Strafgerichtshof, seine
Unabhängigkeit und den Kampf gegen Straflosigkeit in allen Situationen", teilte
das französische Außenministerium dagegen in der Nacht zum Dienstag mit.
Frankreich habe die von der Hamas verübten antisemitischen Massaker von Anfang
an verurteilt. Was Israel angehe, poche Paris seit vielen Monaten auf die
strikte Einhaltung des humanitären Völkerrechts und beklage insbesondere die
Opfer unter der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und den unzureichenden Zugang
für Hilfslieferungen.

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte Khans
Entscheidung einen "entscheidenden Schritt in Richtung Gerechtigkeit". Sie sende
"eine wichtige Botschaft an alle Konfliktparteien in Gaza und darüber hinaus,
dass sie zur Verantwortung gezogen werden für die Zerstörung, die sie den
Völkern in Gaza und Israel zugefügt haben".

Amal Clooney half Weltstrafgericht

Die prominente Menschenrechtsanwältin Amal Clooney hat Khan bei dessen
Vorgehen gegen Israel und die islamistische Hamas unterstützt. Er habe sie vor
mehr als vier Monaten gebeten, ihn zusammen mit einer Expertengruppe bei der
Prüfung der Beweismittel zu unterstützen, teilte Clooney über die Clooney
Foundation for Justice mit. Sie habe die Beweismittel zur Vorbereitung des
Antrags auf Haftbefehle mit weiteren Völker- und Strafrechtlern ausgiebig
geprüft und rechtlich analysiert. Das Gesetz zum Schutz von Zivilisten in
Kriegsgebieten gelte "in jedem Land der Welt, unabhängig von den Gründen für den
Konflikt", erklärte Clooney. "Ich nehme weder hin, dass ein Konflikt im
rechtsfreien Raum stattfindet noch dass ein Täter über dem Gesetz steht."

Blinken: Haftbefehl-Anträge könnten Geiselabkommen gefährden

Nach Darstellung von US-Außenminister Antony Blinken könnte das Vorgehen des Chefanklägers die laufenden Bemühungen um ein Abkommen für eine Waffenruhe in
Gaza gefährden. Die Hamas werde so ermutigt, und das sei das Haupthindernis für
ein Abkommen, konkretisierte ein Sprecher des US-Außenministeriums.

USA: Chefankläger des Strafgerichtshofs sollte Israel besuchen

Khan hat nach Angaben von Blinken einen geplanten Besuch in Israel kurz vor
der Beantragung von Haftbefehlen gegen Netanjahu und Galant abgesagt. Die Reise
Khans nach Israel sei für die kommende Woche geplant gewesen, hieß es in einer
am Montag (Ortszeit) veröffentlichten Mitteilung. Dabei sollte Khan mit der
israelischen Regierung eigentlich noch über die Ermittlungen sprechen und auch
ihre Sicht hören. Die Mitarbeiter des Chefanklägers sollten demnach bereits am
Montag in Israel landen, um den Besuch vorzubereiten. Dass sie nicht an Bord
ihres Flugzeugs gegangen seien, habe die israelische Regierung erst erfahren,
als die Anträge zu den Haftbefehlen im Fernsehen verkündet wurden. "Diese und
andere Umstände stellen die Legitimität und Glaubwürdigkeit dieser Untersuchung
infrage", hieß es in der Mitteilung.

Bei den Attacken der Hamas im israelischen Grenzgebiet am 7. Oktober waren
rund 1200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen
verschleppt worden. Der Terroranschlag war Auslöser für die militärische
Offensive Israels im Gazastreifen, bei der nach Angaben der von der Hamas
kontrollierten Gesundheitsbehörde bisher 35 647 Menschen getötet worden
sind./ln/DP/ngu

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