26.05.2024 16:47:17 - dpa-AFX: ROUNDUP: Zwei Katastrophen in Charkiw - Selenskyj dringt auf Friedensgipfel

CHARKIW (dpa-AFX) - Nach dem russischen Angriff auf einen Baumarkt in
Charkiw mit mindestens 16 Toten hat der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj verzweifelt die Spitzen der USA und Chinas zur Teilnahme an einem
Friedensgipfel in der Schweiz aufgerufen. Der Bombentreffer auf den Baumarkt vom
Samstag, nach dem noch mehrere Menschen vermisst wurden, war für die
Millionenstadt in der Ostukraine die zweite Katastrophe innerhalb weniger Tage.
Am Donnerstag hatten russische Raketen in Charkiw eine der größten Druckereien
des Landes zerstört und sieben Menschen getötet.

Selenskyj veröffentlichte am Sonntag ein Video, das in den Ruinen der
Druckerei gedreht worden war. Er appellierte an US-Präsident Joe Biden und
Chinas Staatschef Xi Jinping: "Wir wollen nicht, dass die UN-Charta verbrannt
wird so wie diese Bücher hier, und ich hoffe, Sie wollen das auch nicht", sagte
er. Beide sollten deshalb zu der Friedenskonferenz kommen, die am 15./16. Juni
in der Schweiz stattfinden soll. Dort werden absehbar die USA vertreten sein,
aber wohl nicht durch Biden. China als enger Verbündeter Moskaus sieht das
Treffen skeptisch, weil es ohne Russland stattfindet und nur Unterstützung für
die Ukraine mobilisieren soll.

Noch Tote im zerstörten Baumarkt vermutet

Als der Baumarkt getroffen wurde, hielten sich dort etwa 200 Menschen auf.
Ein Brand brach aus, der erst am Sonntagmorgen gelöscht werden konnte. Die Zahl
der Todesopfer stieg nach Angaben von Charkiws Militärgouverneur Oleh Synjehubow
bis Sonntag auf 16. Doch unter den Trümmern wurden noch weitere Leichen
vermutet. Zudem liegen Dutzende Menschen mit teilweise schwersten Verletzungen
im Krankenhaus.

EU-Ratspräsident Charles Michel verurteilte den Angriff als widerwärtig. Es
sei kriminell, Zivilisten zu terrorisieren. "Gemeinsam können wir Russlands
brutale Angriffe stoppen. Wir müssen dringend bei einer umfassenden
Luftverteidigung vorankommen", schrieb der belgische Politiker auf X.

Die EU-Außenminister wollen am Montag in Brüssel zusammenkommen und dabei
auch einmal mehr über die Lage in der Ukraine beraten. Eine der Hauptforderungen
Kiews ist weitere Hilfe bei der Flugabwehr

Ukraine befürchtet weiteren Angriff an der Grenze

Charkiw ist wegen seiner Nähe zur Grenze immer wieder Ziel russischer
Angriffe. Nach Angaben Selenskyjs bereitet Moskau einen weiteren Angriff vor.
Während die Ukraine noch die jüngste russische Bodenoffensive im Gebiet Charkiw
abwehre, sammle Russland wenige Kilometer nördlich davon neue Einheiten, um
weiter nordwestlich eine weitere Attacke zu starten, sagte der Präsident.

Militärexperten zufolge ist eine russische Offensive im Gebiet Sumy im
Norden der Ukraine möglich. Russlands Ziel einer solchen Operation ist es
demnach, das personelle und materielle Übergewicht auszunutzen, die ukrainischen
Verteidigungslinien zu überdehnen und so den Zusammenbruch der Front zu
erreichen - oder zumindest weitere Territorien zu erobern.

Laut Selenskyj zeugen die Angriffsvorbereitungen und der andauernde
"terroristische" Beschuss von Städten in der Ukraine davon, dass Russland - im
Gegensatz zu seiner Rhetorik - nicht bereit sei für Verhandlung über einen
wirklichen Frieden. Der Kreml strebe allenfalls nach einer Feuerpause, die dann
wieder durch russische Raketen gebrochen werde.

Die Bundesregierung versucht derzeit, weitere Patriot-Flugabwehrsysteme für
die Ukraine zu organisieren. Deutschland selbst hat angekündigt, ein drittes
System zu liefern. Sechs bis sieben weitere werden aber akut benötigt. Neben
Deutschland verfügen sechs weitere EU-Länder über diese Systeme
US-amerikanischer Bauart. Zudem hat Berlin vier Flugabwehrkomplexe vom selbst
entwickelten Typ Iris-T SLM an Kiew geliefert.

Scholz bleibt bei Einschränkung für deutsche Waffen

Allerdings bleibt Bundeskanzler Olaf Scholz derzeit bei seinem Nein zu einem Einsatz deutscher Waffen gegen russisches Gebiet. Bei einem Bürgergespräch auf
dem Demokratiefest in Berlin sagte er auf die Frage, wann er den ukrainischen
Streitkräften den Beschuss russischen Territoriums mit diesen Waffen erlauben
werde: "Für die Waffenlieferungen, die wir bisher geleistet haben, haben wir
klare Regeln, die mit der Ukraine vereinbart sind. Und die funktionieren. Das
ist jedenfalls meine These."

Selenskyj hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, dass Russland sich
durch dieses Verbot einen Vorteil im Krieg verschaffe, weil es ungestraft
Militär nahe der Grenze zusammenziehen könne. Auch die Luftangriffe auf Charkiw
erfolgen von russischem Boden aus. Russische Flugzeuge klinken die Gleitbomben
noch über dem Gebiet Belgorod aus, sind also vor westlichen Waffen
geschützt./bal/DP/he

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