27.06.2024 17:40:45 - dpa-AFX: HINTERGRUND: 'Mut zur Veränderung' - Katrin Vernau neue WDR-Intendantin

KÖLN (dpa-AFX) - "Wirklich ein bisschen krimihaft" fand
WDR-Rundfunkratsmitglied Corinna Blümel die Wahl von Katrin Vernau zur neuen
WDR-Intendantin. Die bisherige WDR-Verwaltungsdirektorin setzte sich am
Donnerstag in einer spannenden Stichwahl im historischen Kölner Tanzhaus
Gürzenich gegen "Tagesthemen"-Moderator Helge Fuhst durch. Die 51-Jährige bekam
36 Stimmen, der 40-jährige Fuhst 18. Zuvor waren im ersten Wahlgang bereits die
beiden Mitbewerber, WDR-Programmdirektor und "Presseclub"-Moderator Jörg
Schönenborn (59) und ZDF-Washington-Studioleiter Elmar Theveßen (57),
ausgeschieden.

Sie sei "ein bisschen überwältigt", sagte Vernau im Anschluss. Vor der Wahl
hatte nicht festgestanden, ob es einen Favoriten geben würde, weil alle vier
eine lange Biografie mitbringen und schon hohe Posten im öffentlich-rechtlichen
Rundfunk bekleideten.

Keiner der ursprünglich vier Kandidaten erreichte im ersten Wahlgang die
Mehrheit - also mindestens 28 von 55 Stimmen. Deshalb war der zweite Wahlgang
eine Stichwahl der beiden Bestplatzierten. Die Stimmverteilung im ersten
Wahlgang fiel so aus: Vernau bekam 17 Stimmen, Fuhst 16, Schönenborn 15 und
Theveßen 7 Stimmen.

Die gebürtige Baden-Württembergerin Vernau folgt auf Tom Buhrow (65), der
keine dritte Amtszeit mehr anstrebte und vorzeitig zum Jahresende aufhört. Der
frühere "Tagesthemen"-Moderator hatte 2013 nach seiner eigenen Wahl zum
Intendanten erklärt, er bringe die Liebe mit. Danach gefragt, was sie mitbringe,
antwortete Vernau nun: "Mut. Den Mut zur Veränderung."

Buhrow hinterlässt große Fußstapfen. Er reformierte im größten ARD-Sender.
In den vergangenen Jahren gab es einen Sparkurs mit dem Abbau von Hunderten
Arbeitsplätzen. Zuletzt entwarf Buhrow ein großes Bild des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks der Zukunft.

Vernau sei "eine völlig integre Person", versicherte Buhrow. "Sie stellt
ihre Handlungen unter Prinzipien, und die hält sie dann auch durch. Sie ist
nicht nur eine Zahlenfrau, sondern sie ist eine Person, die sich für den
gesamten Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks interessiert." Der
Medienminister von Nordrhein-Westfalen Nathanael Liminski (CDU) beschrieb Vernau
als erfahrene Führungskraft.

Der WDR hat innerhalb der ARD eine besondere Machtposition durch seine
Größe. Die Einnahmen aus dem Rundfunkbeitrag lagen in dem bevölkerungsreichsten
Bundesland bei rund 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2023, gut 4100 Festangestellte
und mehr als 2400 freischaffende Mitarbeiter sind für den Sender tätig. Mit
Argusaugen dürfte beobachtet werden, wie Vernau mit den anderen ARD-Senderchefs
und auch mit dem ZDF künftig zusammenarbeitet. Der öffentlich-rechtliche
Rundfunk steht derzeit unter hohem Spar- und Reformdruck.

In der Vorstellungsrunde vor dem Rundfunkrat hatte Vernau vor der Wahl acht
Punkte präsentiert, wie sie den öffentlich-rechtlichen ARD-Sender in die Zukunft
führen will. Sie sprach sich unter anderem für mehr Regionalität, mehr Mut zur
Gestaltung der ARD-Reformen und mehr Kooperationen mit privaten Unternehmen etwa
auf dem Feld Künstliche Intelligenz aus. Die notwendige Transformation des WDR
gehe deutlich über eine journalistische Aufgabe hinaus, sagte Vernau. Im
Gegensatz zu den drei anderen Kandidaten ist die studierte
Wirtschaftswissenschaftlerin von Haus aus keine Journalistin. Anders als bei den
anderen Kandidaten fiel ein weiteres Detail in der Wahlsitzung auf: Die
Rundfunkratsmitglieder hatten am Ende offenbar keine offenen Fragen mehr an
Vernau - denn die vorgegebenen 20 Minuten Fragezeit, die auf einem großen Screen
runterzählten, wurden bei der Managerin nicht ausgeschöpft.

Auf die Frage aus dem Rundfunkrat, warum man darauf vertrauen könne, dass
sie die Richtige sei, antwortete sie: "Weil ich es schon einmal gemacht habe."
2022 war sie in einer Krisensituation für ein Jahr befristet zur
Interimsintendantin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) gewählt worden. Ihre
Mission galt als erfolgreich, danach wurde sie gleichwohl wieder nach Köln
zurückgeschickt. Letztlich eine glückliche Fügung, weil der WDR viel größer ist
als der RBB? Sie sei absolut nicht karrieregetrieben, und deshalb spiele die
Größe des Senders keine ausschlaggebende Rolle, antwortete Buhrow für sie.

Die Interims-Chefin hatte beim RBB in beachtlichem Tempo wieder Struktur
zurückgebracht. Sie klärte intern auf, beendete das kostenexplodierende
Bauprojekt Digitales Medienhaus, stärkte die Innenrevision, legte die drohende
Millionenlücke offen und schob einen 49-Millionen-Euro-Sparplan samt
Stellenabbau an. Sie legte in den Landtagen von Brandenburg und Berlin
Rechenschaft ab. Sie kündigte Geschäftsleitungsmitgliedern. All das brachte ihr
Respekt ein. Als Buhrow am Donnerstag den Gürzenich verließ, versicherte er der
Deutschen Presse-Agentur: "Ein großer Tag für den WDR."/rin/DP/jha

--- Von Anna Ringle und Christoph Driessen, dpa ---

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH