28.06.2024 13:23:34 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Vom Adel zum Angeklagten: Reuß sagt vor Gericht aus

FRANKFURT (dpa-AFX) - Heinrich XIII. Prinz Reuß soll einer der Rädelsführer
einer mutmaßlichen "Reichsbürger"-Gruppe gewesen sein - nun hat er erstmals vor
Gericht ausgesagt. Am elften Verhandlungstag im Prozess um ihn und acht weitere
Angeklagte erklärte der Frankfurter Immobilienhändler, er sei strikter Gegner
von Gewalt. "Natürlich lehne ich Gewalt ab - aber die Anklage versucht mir das
Gegenteil zu unterstellen", sagte er am Freitagvormittag.

Im dunkelblauen Anzug nahm der 72-Jährige in der Mitte des Gerichtssaals
Platz. Sein Anwalt Roman von Alvensleben wies noch vor Beginn der Einlassung auf
die besondere Situation hin - Reuß' Familie war anwesend. Vor Verhandlungsbeginn
durfte der Angeklagte auch seine Tochter begrüßen. Er bückte sich an der
Glasscheibe zum Zuschauer- und Presseraum zu ihr hinunter. Wieder am Platz
wischte er sich Tränen aus dem Gesicht. Auch seine Ex-Frau schaute zu. Sie saß
neben der Tochter.

Reuß sichtlich ergriffen

Es fiel Reuß sichtlich schwer zu reden. Er pausierte immer wieder, den
Tränen nahe, als er von seiner Familiengeschichte rund um seine vier
Geschwister, das Leben seiner Eltern und seine Jugend sprach. "Mein Zustand ist
labil, ich weiß nicht was passiert, ich kann Ihnen ehrlich nicht sagen, was los
ist", sagte er zum Vorsitzenden Richter Jürgen Bonk. Dieser unterbrach die
Sitzung insgesamt dreimal - Reuß winkte mehrmals lächelnd seiner Tochter zu.

In seiner rund zwei Stunden dauernden Schilderung gab er vor allem Einblick
in seine persönlichen Verhältnisse und seinen Werdegang. Seine Eltern flüchteten
demnach während des Zweiten Weltkriegs aus Thüringen nach Hessen. Reuß wurde
1951 in Büdingen geboren - als fünftes von sechs Geschwistern.

Er erzählte von "Vergewaltigungen seiner Psyche und Seele" durch Lehrkräfte. So habe ein Lehrer einmal zu ihm gesagt, "Euch sollte man alle enteignen."
Schule sei für Reuß generell aber nicht so wichtig gewesen. Er arbeitete öfter
hart in der Ponyzucht seines Vaters und besserte sein Taschengeld mit der Zucht
von Kanarienvögeln und Sittichen auf. Später baute und designte er nach eigenen
Angaben Möbel unter dem Namen "Linea Tredici" - italienisch für "Linie
Dreizehn".

Bei der Bundeswehr wurde er ausgemustert, wegen Folgeschäden von
Reitunfällen in der Kindheit. Immer wieder betonte er in diesem Kontext auch,
dass er Gewalt verabscheue und oftmals kränklich und gesundheitlich angeschlagen
war. Nach zwei Verkehrsunfällen hätte er nach eigenen Angaben beinahe eine
Beinamputation und eine Querschnittslähmung erlitten. Auch zu seinem Studium in
Hamburg und München äußerte er sich und zählte Beteiligungen und Käufe von
Immobilien und Geschäften auf, wie etwa ein Fitnessstudio.

Über seine Kinder und Ex-Frau erzählte Reuß ausgiebig. So habe ihn die erste Ehe belastet, da sie von seiner Familie nicht akzeptiert wurde. "Auf Seite des
Hauses Reuß wurden nur Ehen, die in einer christlichen Kirche geschlossen wurden
als Ehe akzeptiert", sagte er. Seine Ex-Frau stammt aus dem Iran. Über die
Beziehung zu seiner Mitangeklagten Vitalia B. sagte er: "Das war eine
Freundschaft, die zu einer innigen Beziehung reifte."

Familienbesitz in Thüringen

Mit der "sogenannten Wiedervereinigung" Deutschlands beschäftigte er sich
mehr und mehr mit einer Rückkehr zu den Familienländereien nach Thüringen, mit
der ihn schon sein Vater beauftragt habe. Die Restituierung und
Eigentumsnachweise für den Nachlass des Hauses Reuß hätten ihn viel Kraft und
Geld gekostet. In den vergangenen 32 Jahren bis zur Verhaftung im Dezember 2022
habe der Familienbesitz den Großteil seiner Bemühungen eingenommen. Unter
anderem kaufte er das Jagdschloss Waidmannsheil im thüringischen Saaldorf
zurück. 2022 wollte Reuß nach eigenen Angaben zudem prüfen lassen, den
"Volkstamm der Reußen" als indigenes Volk anerkennen zu lassen.

Zu den Anklagepunkten machte Reuß keine Angaben, diese werden derzeit noch
vom Prozess ausgeklammert. Nur kurz äußerte er sich zur "Erd-Allianz", der
vermeintlichen Gruppe, auf deren Zeichen hin die "Reichsbürger" der
"Patriotischen Union", wie sich die Gruppe um Reuß genannt haben soll, den
Umsturz starten sollten: "Die Allianz hat sich als trojanisches Pferd
herausgestellt und nichts veranlasst."

Fortsetzung am Dienstag

Der Aussage von Reuß ging ein eher "ungewöhnliches Prozedere" voran, wie
Richter Bonk es nannte. Nachdem an den zwei vergangenen Tagen der Ex-Soldat
Maximilian Eder über seine persönlichen Verhältnisse berichtet hatte, waren für
den Verhandlungstag am Freitag weitere Fragen an ihn geplant. Eders Anwalt Ralf
Dalla Fini ließ jedoch verlauten, dass sein Mandant keine Fragen beantworte.
Also saßen die beiden auf der Zeugenbank, und Dalla Fini erklärte noch zweimal,
dass Eder keine Fragen beantworten werde. Sie brach dann die Befragung ab.

In Frankfurt wird neun Angeklagten vorgeworfen, Mitglieder einer
terroristischen Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese unterstützt zu
haben. Es soll ein bewaffneter Umsturz geplant gewesen sein. Dabei hätten die
Angeklagten bewusst Tote in Kauf genommen, so die Anklage. Bis zum Urteil gilt
für die Angeklagten die Unschuldsvermutung. Mit zwei weiteren Verfahren in
München und Stuttgart müssen sich insgesamt 26 mutmaßliche Verschwörer in dem
Komplex verantworten.

Laut Bundesanwaltschaft hatte die Gruppe Zugriff auf ein massives
Waffenarsenal. Wiederholt wurde der Anklage zufolge militärisches Personal
rekrutiert.

Der Prozess wird am Dienstag, 2. Juli fortgesetzt. Geplant sind zunächst
Fragen des Gerichts an Reuß sowie weitere Einlassungen der Angeklagten
Hans-Joachim H. und Johanna F.-J./lfo/DP/stk

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