23.05.2024 16:20:35 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Die wahre Talfahrt im Wohnungsbau steht erst noch bevor

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WIESBADEN (dpa-AFX) - Trotz einer besser als befürchtet ausgefallenen Bilanz im vergangenen Jahr steht dem deutschen Wohnungsbau nach Einschätzung von
Ökonomen und Baubranche die wahre Talfahrt noch bevor. 2023 wurden nach Zahlen
des Statistischen Bundesamts 294 400 Wohnungen fertig gestellt, wie die
Wiesbadener Behörde am Donnerstag meldete. Das waren nur 0,3 Prozent weniger als
2022, und damit erheblich mehr als von etlichen Fachleuten erwartet.

Das ursprüngliche Ziel der Bundesregierung von 400 000 neuen Wohnungen wurde jedoch - wie bislang jedes Jahr - verfehlt. "Unterm Strich bleibt allerdings:
Auch im Vorjahr wurden weniger Wohnungen gebaut, als es der Bedarf an
bezahlbarem Wohnraum eigentlich erfordert", sagte Tim-Oliver Müller, der
Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der deutschen Bauindustrie.

Privater Hausbau geht zurück

Das Bauen ist wegen des gleichzeitigen Anstiegs der Kreditzinsen und der
Baukosten in den vergangenen zwei Jahren sehr viel teurer geworden. Die Zahlen
des Bundesamts deuten darauf hin, dass der doppelte Preisschock vor allem
diejenigen trifft, die den Traum vom eigenen Haus nicht mehr bezahlen können:
Die Zahl der neuen Einfamilienhäuser ging um mehr als 9 Prozent auf 69 900
zurück. In Mehrfamilienhäusern, die in der Regel von Wohnungsgesellschaften oder
Investoren gebaut werden, entstanden 156 300 Neubauwohnungen, 4,1 Prozent mehr
als im Vorjahr.

Ministerin verbreitet Zuversicht

Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) will der schlechten Stimmung in der
Baubranche mit einer positiven Botschaft begegnen: "Die Baufertigstellungszahlen
für 2023 zeigen ganz deutlich: Die Lage am Bau ist stabil", sagte sie. Diese
Einschätzung teilen jedoch weder Ökonomen noch die Unternehmen. Denn maßgeblich
für die Zukunft sind nicht die fertig gestellten Wohnungen - dort ziehen die
Bauarbeiter ab und die Bewohner ein. "Die heute veröffentlichten
Baufertigstellungszahlen sind kein Grund, irgendetwas schön zu reden", sagte
Axel Gedaschko, der Präsident des Spitzenverbandes der Wohnungswirtschaft GdW.

Die Hauptindikatoren für die zukünftige Entwicklung sind vielmehr
Wohnungsbaugenehmigungen und Bauaufträge. Die Zahl der neuen Genehmigungen war
2023 um über ein Viertel auf 260 100 Wohnungen gesunken - und damit auf den
niedrigsten Stand seit 2012. Und auch 2022 hatte es schon einen kräftigen
Rückgang gegeben.

Der echte Einbruch auf dem Bau steht noch bevor

Was nicht genehmigt ist, wird - von wenigen Schwarzbauten abgesehen - auch
nicht gebaut. Üblicherweise dauert es laut Statistischem Bundesamt zwei Jahre,
bis aus einer Genehmigung dann auch tatsächlich eine Wohnung oder ein Haus wird.
Somit wird die geschrumpfte Zahl der Wohnungsbaugenehmigungen 2022 und 2023 erst
in diesem Jahr voll auf die Bautätigkeit durchschlagen. Was die Bauaufträge
betrifft, so ist deren absolute Zahl unbekannt. Doch in Konjunkturumfragen der
Wirtschaftsforschungsinstitute klagen viele Baufirmen über Auftragsmangel - kein
Zeichen, dass die Lage stabil wäre.

Besonders im Wohnungsbau haben viele Bauherren und Wohnungsunternehmen ihre
Pläne verschoben oder gänzlich zu den Akten gelegt. Für dieses Jahr rechnet der
Hauptverband der Bauindustrie noch mit etwa 250 000 neu gebauten Wohnungen.

Schlechte Nachrichten für Mieter

Noch pessimistischer als der Bauindustrie-Verband ist das Münchner
Ifo-Institut. Dessen Bau- und Immobilienfachmann Ludwig Dorffmeister erwartet
für dieses Jahr noch 215 000 neue Wohnungen, davon 120 000 in
Mehrfamilienhäusern inklusive Wohnheimen. "Die derzeitigen Genehmigungszahlen
deuten klar nach unten, sodass in den nächsten Jahren immer weniger neue
Projekte nachkommen werden", sagte Dorffmeister. "Der Rückgang der
Fertigstellungszahlen ist also erst einmal vorgezeichnet, auch wenn der genaue
Verlauf unsicher bleibt."

Da der Wohnungsmangel in den Städten sich bei einer Wohnungsbauflaute
verschärfen wird, erwarten viele Fachleute weiter steigende Mieten, obwohl die
Immobilienpreise ebenfalls gesunken sind.

Und da es in Deutschland dauert, bis die Genehmigung zum Gebäude wird, würde auch ein Anstieg der Genehmigungszahlen nicht zu einer schnellen Verbesserung am
Bau führen, meint der Ökonom.

"Aufgrund der langen Realisierungszeiten bedeutet umgekehrt ein möglicher
mittelfristiger Anstieg bei den Genehmigungen, dass die Trendwende bei den
Fertigstellungen dann erst zeitverzögert sichtbar wird."/cho/DP/ngu

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