13.05.2024 06:30:06 - dpa-AFX: ROUNDUP: Historische Separatisten-Pleite bei Katalonien-Wahl

BARCELONA (dpa-AFX) - Bei der vorgezogenen Parlamentswahl in Katalonien
haben die Separatisten am Sonntag eine historische Pleite erlitten. Erstmals
seit 1980 verpassten die verschiedenen Parteien der Unabhängigkeitsbefürworter
in der spanischen Konfliktregion zusammen die absolute Mehrheit der Sitze im
Parlament in Barcelona. Die Sozialisten von Spitzenkandidat Salvador Illa
gewannen die Wahl. Mit 42 Sitzen sind sie zwar weit von der absoluten Mehrheit
(68) entfernt. Illa könnte aber mit der Unterstützung anderer linker Parteien
zum Regierungschef gewählt werden - und so eine Neuwahl verhindern, denn eine
Alternative zu einer linken Regierung scheint es nicht zu geben.

Hinter den Sozialisten kam die konservativ-liberale Partei Junts des im
belgischen Exil lebenden Separatistenführers Carles Puigdemont nach den
vorläufigen amtlichen Ergebnissen mit 35 Sitzen auf Platz zwei. Der 61-Jährige
hat aber keine echte Chance, genug Unterstützung für eine Regierungsbildung zu
sammeln. Die ebenfalls separatistische Republikanische Linke (ERC) des
bisherigen Regionalpräsidenten Pere Aragonès belegte mit 20 Sitzen (gleich 13
weniger als bisher) nur den dritten Platz. Zusammen kamen die vier
Separatisten-Parteien nur auf 61 Sitze. Sie verloren 13.

Großer Triumph für Sánchez

Der Wahlausgang wurde von Analysten unisono vor allem als ein großer Triumph der linken Zentralregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez im 600 Kilometer
entfernten Madrid bewertet. Mit seiner Aussöhnungspolitik und seinen
Zugeständnissen habe Sánchez den Konflikt in Katalonien weitgehend entschärft
und den Separatisten - die Madrid traditionell als "Feind Nummer eins"
betrachten - den Wind komplett aus den Segeln genommen, hieß es in einer
Talkrunde des Fernsehsenders RTVE am späten Sonntagabend.

Für Sánchez ist wiederum die Unterstützung der separatistischen Parteien im
Nationalparlament in Madrid überlebenswichtig. Wohl auch deshalb hat er neben
anderen Maßnahmen zur Beschwichtigung allen "Catalanistas", die im Zusammenhang
mit den Unabhängigkeitsbestrebungen in Konflikt mit dem Gesetz geraten sind,
eine Amnestie zugesichert. Das Gesetz, das von der konservativen Opposition
scharf kritisiert wird, hat noch nicht alle parlamentarischen Hürden überwunden.
Es könnte es aber schon im Juni in Kraft treten - und würde auch eine Rückkehr
des Justizflüchtlings Puigdemont, der den Wahlkampf von Frankreich aus führen
musste, nach Spanien ermöglichen.

"Heute haben auch die Amnestie und die Aussöhnung gewonnen", sagte der
Journalist Juanma Lamet, dessen Arbeitgeber, die renommierte Zeitung "El Mundo",
nicht gerade zu den Sánchez nahestehenden Medien zählt. Die Schriftstellerin
Berna González Harbour, die als Kolumnistin für das Sánchez-freundlichere Blatt
"El País" arbeitet, stellte fest: "Wir alle wussten schon, dass der "Procés"
(die Trennungsoffensive) zu Ende war. Nun wissen es auch die Separatisten." Sie
seien "kläglich abgestürzt".

Nach einem illegalen Unabhängigkeitsreferendum und einem Beschluss zur
Abspaltung von Spanien war Katalonien im Herbst 2017 unter der Ägide Puigdemonts
ins Chaos gestürzt. Puigdemont konnte damals mit weiteren Regierungsmitgliedern
ins Ausland fliehen. Mehrere der im Land gebliebenen Mitstreiter wurden zu
Haftstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt, später aber begnadigt. Unter den
Folgen des chaotischen Trennungsversuches - politische Instabilität sowie eine
Unternehmens- und Kapitalflucht - leidet Katalonien noch heute.

Wahlsieger Illa verspricht Aussöhnung und Aufschwung

Illa setze in seiner Siegesrede den Aussöhnungskurs des Sozialisten-Chefs
Sánchez fort und versprach: "Kein Katalane wird von dieser neuen Etappe, die
heute beginnt, ausgeschlossen werden." Er wolle Regionalpräsident werden, damit
Katalonien wieder zur führenden Wirtschaftsregion Spaniens werde. Unter dem
lauten Jubel seiner Anhänger rief Illa "Erstmals hat die Sozialistische Partei
die Wahlen in Katalonien nach Stimmen und nach Sitzen gewonnen!"

Für die Wahl zum Regionalpräsidenten im Parlament in Katalonien benötigt
Illa vor allem und unbedingt die Unterstützung der Republikanischen Linken, die
sich noch nicht klar dazu äußerte. Parteichef Aragonès meinte zunächst, man
werde in die Opposition gehen, aber das würde eine Duldung der Sozialisten nicht
ausschließen.

Unabhängig davon, was in den nächsten Wochen passiert, war die Freude im
Madrider Regierungspalast Moncloa sehr groß. "Historisches Ergebnis", schrieb
Sánchez auf der Online-Plattform X. "Heute beginnt in Katalonien eine neue Ära,
die das Leben der Bürger verbessern, die Rechte erweitern und das Zusammenleben
stärken soll."

Die Freude und Hoffnung der Sozialisten scheinen berechtigt, nicht nur wegen des Gewinns von neun Sitzen. Kritiker aus dem konservativen Lager hatten Sánchez
immer wieder vorgeworfen, mit der Appeasement-Politik und Abhängigkeit seiner
Minderheitsregierung von Separatisten werde er den Separatismus stärken und die
Einheit Spaniens gefährden. Tatsächlich hatten die Separatisten auch nach Beginn
der Zusammenarbeit mit Sánchez von der Zentralregierung unter anderem grünes
Licht für ein legales Referendum über die Unabhängigkeit gefordert. Das werden
sie wohl auch in Zukunft weiterhin tun - allerdings mit deutlich schwächerer
Stimme als bisher./er/DP/zb

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