21.05.2024 11:21:15 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Terrorprozess gegen 'Reichsbürger'-Gruppe in Frankfurt begonnen

FRANKFURT (dpa-AFX) - Sie sollen einen gewaltsamen Umsturz mit Sturm auf den
Bundestag geplant haben: Am Dienstag hat in Frankfurt am Main der bundesweit
zweite Terrorprozess gegen die "Reichsbürger"-Gruppe um Heinrich XIII. Prinz
Reuß begonnen. Der 72-Jährige ist als einer der mutmaßlichen Rädelsführer
angeklagt - er steht gemeinsam mit acht weiteren Männern und Frauen vor Gericht.

Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen vor, Mitglieder in einer terroristischen
Vereinigung gewesen zu sein beziehungsweise diese unterstützt zu haben. Unter
den Angeklagten befinden sich Ex-Bundeswehrsoldaten sowie eine ehemalige
AfD-Bundestagsabgeordnete. Für die Angeklagten gilt bis zu einem etwaigen Urteil
die Unschuldsvermutung.

Der Auftakt des Prozesses am Oberlandesgericht verzögerte sich am
Dienstagmorgen, weil Anwälte zuvor noch mit ihren Mandanten sprechen wollten,
wie eine Gerichtssprecherin sagte. Erst mit einer dreiviertel Stunde Verspätung
ging es dann los. Zunächst wurden dann formale Fragen geklärt. Vorgesehen war
für den ersten Verhandlungstag die Verlesung der Anklageschrift.

Eigene Staatsordnung ausgearbeitet

Ab August 2021 plante und bereitete sich die in Frankfurt angeklagte Gruppe
laut Bundesanwaltschaft auf einen Umsturz am "Tag X" vor. Konkret hätte eine
bewaffnete Gruppe in das Reichstagsgebäude in Berlin eindringen sollen, um dort
Abgeordnete des Bundestags festzunehmen und so den Systemumsturz herbeizuführen.
Man habe bei den Plänen bewusst Tote in Kauf genommen. Für die Pläne sollen rund
500 000 Euro und ein massives Waffenarsenal zur Verfügung gestanden haben.

In Frankfurt stehen die mutmaßlichen Rädelsführer vor Gericht, Reuß sowie
Rüdiger von Pescatore, der den militärischen Arm der Gruppe geleitet haben soll.
Strukturen für eine eigene Staatsordnung sollen in Grundzügen ausgearbeitet
gewesen sein, als Staatsoberhaupt hätte Reuß fungieren sollen. Für das Ressort
Justiz hätte die ehemalige Berliner Richterin und frühere
AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann zuständig sein sollen, die
ebenfalls zu den Frankfurter Angeklagten zählt. Die sogenannten Reichsbürger in
Deutschland behaupten, dass das Deutsche Reich (1871-1945) weiter existiert. Die
Bundesrepublik und ihre Gesetze erkennen sie nicht an.

Die Anklage lautet teils auch auf Vorbereitung eines hochverräterischen
Unternehmens. Konkrete Vorbereitungen wie die Rekrutierung militärischen
Personals hätten stattgefunden. Die Angeklagten habe eine tiefe Ablehnung der
staatlichen Institutionen und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung
verbunden, hieß es von der Bundesanwaltschaft: "Sie folgten einem Konglomerat
aus Verschwörungsmythen."

Zweiter von drei Prozessen

Das Verfahren ist das zweite von drei Mammutprozessen gegen die Gruppe von
"Reichsbürgern": Ende April hatte in Stuttgart der Prozess gegen mutmaßliche
Vertreter des militärischen Arms begonnen. In München stehen ab dem 18. Juni die
übrigen mutmaßlichen Mitglieder der Gruppe vor Gericht. Die mutmaßlichen
Verschwörer waren bei einer großangelegten Anti-Terror-Razzia im Dezember 2022
aufgeflogen.

Der Verteidiger von Reuß, Rechtsanwalt Roman von Alvensleben, kritisierte
vor Beginn des Prozesses in Frankfurt die Dreiteilung des Verfahrens. "Ich finde
das nicht rechtsstaatlich, drei Verfahren in unterschiedlichen Bundesländern an
unterschiedlichen Gerichten mit gleichem Vorwurf zu bestreiten und zu
verhandeln. Was soll das für Ergebnisse bringen?"

Für den Ausnahmeprozess in Frankfurt gelten strengste
Sicherheitsvorkehrungen. Am Stadtrand wurde eigens eine Leichtbauhalle aus
Metall mit rund 1300 Quadratmeter Fläche aufgebaut. Neben den neun Angeklagten
werden fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 25 Verteidiger im Prozess dabei
sein. Rund 260 Zeugen sollen geladen werden. Die Dokumente zum Prozess sind laut
dem Gericht in 801 Stehordnern abgelegt. Die ersten Angeklagten wurden am
Dienstagmorgen gegen 7.30 Uhr unter strenger Bewachung zu der Gerichtshalle im
Stadtteil Sossenheim gebracht.

Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) meldete sich zum Prozessbeginn zu Wort. "Es ist gut, dass sich ab heute auch die mutmaßlichen Rädelsführer der
bislang größten Terrorgruppe von "Reichsbürgern" vor Gericht verantworten
müssen. Die Strafprozesse an drei Oberlandesgerichten gleichzeitig haben eine
neue Dimension", teilte sie mit. Es handle sich bei den Angeklagten nicht um
harmlose Spinner, sondern um gefährliche Terrorverdächtige. "Unsere
Sicherheitsbehörden werden ihr hartes Vorgehen fortsetzen, bis wir militante
"Reichsbürger"-Strukturen vollständig offengelegt und zerschlagen haben. Keiner
in dieser extremistischen Szene sollte sich sicher fühlen."

Nur noch neun Angeklagte in Frankfurt

Statt der ursprünglich zehn Angeklagten treten in Frankfurt neun mutmaßliche "Reichsbürger" vor die Richter. Norbert G. verstarb im März in einer Klinik, wie
eine Sprecherin des Oberlandesgerichts mitteilte.

Den Übrigen drohen laut Gericht bis zu zehn Jahre Haft, wenn sie in einem
Anklagepunkt schuldig gesprochen werden. Im Falle mehrerer Schuldsprüche und
einer Gesamtstrafe stünden maximal 15 Jahre Haft zu Buche./lfo/DP/ngu

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