15.05.2024 16:05:20 - dpa-AFX: GESAMT-ROUNDUP: Lage in Charkiw angespannt - USA stellen weitere Militärhilfe

CHARKIW (dpa-AFX) - Angesichts der russischen Offensive bleibt die Lage im
ostukrainischen Gebiet Charkiw äußerst angespannt. Von einzelnen Positionen
mussten sich ukrainische Truppen eigenen Angaben zufolge zurückziehen. Präsident
Wolodymyr Selenskyj sagte vor diesem Hintergrund am Mittwoch alle Auslandsreisen
ab, die für die kommenden Tage geplant waren. Unterdessen stellte
US-Außenminister Antony Blinken dem angegriffenen Land während seines Besuchs in
Kiew weitere Militärhilfen in Aussicht.

Selenskyj sagt Auslandsreisen ab

"Wolodymyr Selenskyj hat die Anweisung gegeben, alle internationalen
Veranstaltungen mit seiner Beteiligung für die kommenden Tage zu verschieben",
teilte sein Sprecher Serhij Nykyforow auf Facebook mit. Für die abgesagten
Reisen sollen demnach nun neue Termine gefunden werden. Zuvor hatte bereits das
spanische Königshaus ein für Freitag geplantes Treffen Selenskyjs mit König
Felipe VI. in Madrid wieder von seiner Internetseite gelöscht. Auch eine Reise
Selenskyjs nach Portugal war offenbar geplant gewesen und wurde nun gestrichen.

Russland, das seit mehr als zwei Jahren einen Angriffskrieg gegen das
Nachbarland Ukraine führt, hat in der vergangenen Woche in der Grenzregion eine
neue Offensive im Gebiet Charkiw begonnen. Infolgedessen besetzten russische
Truppen mehrere ukrainische Dörfer in der Nähe der Grenze.

Ukrainische Armee meldet Abzug von einzelnen Positionen

Zuletzt sah die ukrainische Armee sich eigenen Angaben zufolge gezwungen,
ihre Soldaten von einzelnen Positionen abzuziehen. "Infolge von Kampf- und
Offensivhandlungen des Gegners haben unsere Einheiten an bestimmten Abschnitten
im Raum Lukjanzi und Wowtschansk ein Manöver durchgeführt und sich in
vorteilhaftere Positionen begeben, um das Leben unserer Soldaten zu retten und
um Verluste zu vermeiden", teilte der ukrainische Generalstab in der Nacht auf
Mittwoch mit. In der Mitteilung hieß es aber auch: "Die Kämpfe dauern an."

Das US-Institut für Kriegsstudien (ISW) stellte unterdessen fest, dass das
Tempo der russischen Vorstöße in Charkiw sich zuletzt verlangsamt zu haben
scheint. Das Muster der Militäraktivitäten in diesem Gebiet untermauere die
Einschätzung des ISW, dass die russischen Streitkräfte der Schaffung einer
"Pufferzone" an der Grenze zwischen Russland und der Ostukraine Vorrang vor
einem tieferen Eindringen in die Region geben, schrieb die Denkfabrik mit Sitz
in Washington am Dienstag (Ortszeit) in ihrem jüngsten Bericht.

USA stellen zwei Milliarden US-Dollar Militärhilfe bereit

Die US-Regierung stellt der Ukraine zwei Milliarden US-Dollar für
militärische Zwecke zur Verfügung. Das kündigte US-Außenminister Blinken bei
seinem Besuch in Kiew an. Mit einem Teil des Geldes wolle man Waffenlieferungen
an das von Russland angegriffenen Land finanzieren, sagte Blinken. Ein weiterer
Teil sei für Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie vorgesehen.
Schließlich solle das Geld der Ukraine auch bei der Beschaffung militärischer
Ausrüstung aus anderen Ländern helfen.

"Wir arbeiten daran, dass sich die Ukraine heute auf dem Schlachtfeld
durchsetzen kann", sagte Blinken bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit
Außenminister Dmytro Kuleba. Es gehe aber auch darum, die Ukraine in die Lage zu
versetzen, künftige Angriffe abzuschrecken und abzuwehren und dem ukrainischen
Volk das Recht zu sichern, über seine Zukunft selbst zu entscheiden.

Der mehrtägige Besuch ist für Blinken der vierte seit Kriegsbeginn im
Februar 2022. Zugleich war es die erste Visite nach Verabschiedung eines lange
verzögerten Hilfspakets in Höhe von 61 Milliarden US-Dollar (56,5 Milliarden
Euro) durch die USA. Die Ukraine ist aus einem Mangel an Waffen, Munition und
Soldaten seit Monaten in der Defensive.

Russisches Militär meldet erneute Eroberung von Ort in Südukraine

Während der Hauptfokus derzeit auf Charkiw liegt, besetzte Russlands Armee
eigenen Angaben zufolge in der Südostukraine die Ortschaft Robotyne - und das
bereits zum zweiten Mal seit Kriegsbeginn. Robotyne war bereits am 6. März 2022,
kurz nach Beginn der russischen Invasion, von russischen Truppen besetzt worden.
Mehr als ein Jahr später dann befreiten die Ukrainer den Ort im Zuge ihrer
Sommeroffensive. Dass sie ihn nun wieder an die russischen Angreifer verloren
haben sollen, bestätigten sie zunächst nicht. Auch unabhängig ließen sich die
Angaben aus Moskau erst einmal nicht verifizieren.

Tschechiens Präsident zweifelt an Rückeroberung ukrainischer Gebiete

In Tschechien löste derweil Präsident Petr Pavel Diskussionen aus mit
Warnungen vor unrealistischen Erwartungen an den ukrainischen Abwehrkrieg. "Es
wäre naiv zu glauben, dass die Ukraine in absehbarer Zeit vollständig die
Kontrolle über ihr Territorium zurückgewinnen kann", sagte der frühere
tschechische Generalstabschef im Sender Sky News. Russland werde die besetzten
Gebiete nicht aufgeben. "Was wir tun müssen, ist, den Krieg zu stoppen",
forderte der 62-Jährige. Anschließend könne man über eine künftige Vereinbarung
verhandeln. Einen Kompromiss könne es indes nur mit Zustimmung der Ukraine und
Russlands sowie mit der Hilfe von Garantiestaaten geben.

Pavel dämpfte auch Hoffnungen auf einen baldigen Nato-Beitritt der Ukraine.
In Prag sorgten die Äußerungen des Ex-Nato-Generals am Mittwoch teils für
Überraschung. "Man muss verhandeln, (...) aber nicht unter Bedingungen, die
Moskau diktiert", sagte etwa der konservative Innenminister Vit
Rakusan./haw/DP/men

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