05.07.2024 06:00:06 - dpa-AFX: ROUNDUP/Streit ums Geld: Nächtliches Ringen im Kanzleramt

BERLIN (dpa-AFX) - Die Spitzen der Bundesregierung haben ihr stundenlanges
Ringen um den neuen Bundeshaushalt über Mitternacht hinaus fortgesetzt.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Finanzminister Christian Lindner (FDP) und
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kamen dazu bereits am
Donnerstagnachmittag gegen 15.00 Uhr im Kanzleramt zusammen. Zunächst wurde
weiter keine Einigung in dem bereits seit Monaten andauernden Tauziehen um den
Haushaltsplan fürs kommende Jahr bekannt.

Allerdings gibt es einen vorläufigen Zielpunkt: Um 7.00 Uhr kommen die
Fraktionen von SPD und Grünen zu Sondersitzungen zusammen, um sich über den
Stand der Beratungen informieren zu lassen. Daran dürften auch Scholz und Habeck
teilnehmen. Bei der FDP soll es nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur
zur selben Zeit eine digitale Unterrichtung der Abgeordneten geben.

Wer Druck macht - und wer ihn abzuwehren sucht

Die SPD war mit der Ankündigung ihrer Fraktionssitzung vorgeprescht und
hatte den Druck auf die drei Unterhändler und ihr Team damit noch erhöht. Sie
will am letzten Tag vor der parlamentarischen Sommerpause Klarheit haben, womit
sie sich nach den Ferien ab dem 10. September befassen muss. Denn am Ende
entscheidet nicht die Bundesregierung, sondern der Bundestag über den Haushalt -
üblicherweise im November oder Dezember.

Die FDP hat auch klargemacht, dass sie sich in den Verhandlungen nicht unter Druck setzen lassen will. "Wir müssen sorgfältig beraten. Es geht um die
Stabilität unserer Staatsfinanzen in einer unruhigen Weltlage", sagte FDP-Chef
Lindner der Deutschen Presse-Agentur.

Worüber gestritten wird

Der Streit war so eskaliert, weil infolge der schwierigen Wirtschaftslage
viele Milliarden Euro Steuereinnahmen fehlen, um alle Ausgabenwünsche der
Ministerien zu finanzieren. Immer wieder saß die Dreierrunde deshalb zusammen.
Am Abend war dann die Rede von einer Lücke von immer noch rund 10 Milliarden
Euro, die geschlossen werden müsse.

Vor allem die SPD dringt mit Blick auf finanzielle Belastungen durch den
Ukraine-Krieg darauf, die Schuldenbremse erneut auszusetzen, um mehr Spielraum
für Investitionen zu haben. Für Lindners FDP kommt das nicht infrage. Die SPD
lehnt die von ihm favorisierten Kürzungen im Sozialetat aber ab - auch wenn er
nicht von Kürzungen, sondern einer Beschneidung des weiteren Anstiegs spricht.
Verhandelt wird außerdem über ein Maßnahmenpaket, um die schwache Konjunktur in
Schwung zu bringen.

Wie die Sekundanten argumentieren

Unterorganisationen der jeweiligen Koalitionsparteien trommelten über die
Medien noch einmal für ihre Positionen - und dafür, dass ihre Chef-Unterhändler
den anderen bei der Kompromisssuche nicht zu weit entgegenkommen. Ebenso werben
Sozialverbände und Wirtschaft weiterhin für ihre Sichtweisen.

- Jusos und Grüne Jugend: "Ein Sparhaushalt in der aktuellen Situation ist
brandgefährlich", mahnte der Vorsitzende der SPD-Nachwuchsorganisation, Philipp
Türmer, im "Stern". Es müsse etwa für ausreichend Wohnraum, gute Schulen und
eine zuverlässige Bahn ordentlich Geld ausgegeben werden, anders gehe es nicht.
Seine Grünen-Kollegin Svenja Appuhn verlangte im selben Magazin: "Die Grünen
dürfen dieser Haushaltseinigung nicht zustimmen, wenn Einsparungen wieder auf
dem Rücken der Schwächsten und Ärmsten getätigt werden."

- Jungliberale und Junge Union: Der Nachwuchs des Koalitionspartners FDP und der oppositionellen Union stemmen sich dagegen. "Setzen Sie sich bei den
Haushaltsverhandlungen vehement für den Erhalt der Schuldenbremse ein und zeigen
Sie den Mut, klare Prioritäten zu setzen", heißt es in einem unter anderem von
Juli-Chefin Franziska Brandmann und JU-Chef Johannes Winkel gezeichneten
Schreiben an die drei Chef-Unterhändler, über das der "Spiegel" berichtet.
"Unsere Zukunft und die Zukunft kommender Generationen leben davon."

- Sozialverbände: Sie warnen vor Kürzungen im Sozialbereich. "Das würde die
Spaltung der Gesellschaft nur befeuern, und wozu das führen kann, sehen wir
gerade bei den Wahlergebnissen in Frankreich", sagte die SoVD-Vorsitzende
Michaela Engelmeier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. VdK-Präsidentin Verena
Bentele sekundierte: "Viele Menschen sind unzufrieden und verunsichert.
Kürzungen im Sozialbereich würden nur weiter Öl ins Feuer gießen."

- Wirtschaft: "Mehr Geld bekommen wir über Wachstum in die Staatskasse,
nicht über Schulden oder über noch höhere Belastungen gerade auch für die
Wirtschaft", sagte der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer
(DIHK), Peter Adrian, den Funke-Zeitungen. "Derzeit stimmen die
Rahmenbedingungen in Deutschland nicht: zu hohe Kosten, zu viel Bürokratie, zu
lange und analoge Verfahren mit veralteter Infrastruktur." Nötig seien daher
strukturelle Reformen.

Was der Zuschauer sagt

Der Vorsitzende der CSU-Bundestagsabgeordneten, Alexander Dobrindt, zeigte
sich skeptisch. "Ich sehe überhaupt nicht, dass da eine Einigung in Sicht ist.
Und deswegen: Es ist eher zu erwarten, dass es noch schlimmer wird, als dass es
irgendwie besser wird", sagte er dem Fernsehsender Welt./and/DP/zb

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