19.06.2024 17:39:35 - dpa-AFX: Cum-Ex-Prozess gegen Bankier Olearius nähert sich dem Ende

BONN (dpa-AFX) - Das Cum-Ex-Strafverfahren gegen den Hamburger Bankier
Christian Olearius geht dem Ende entgegen. Das Bonner Landgericht sprach am
Mittwoch zwar kein sogenanntes Einstellungsurteil, beraumte aber einen
Verhandlungstermin am kommenden Montag an - aller Voraussicht nach dürfte dann
besagtes Urteil gefällt werden. Da die Beweisaufnahme wegen der
Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten nicht geschlossen werden kann, sieht das
Gesetz nach Auskunft einer Bonner Gerichtssprecherin weder einen Schuldspruch
noch einen Freispruch vor (Aktenzeichen 63 KLs 1/22).

Die Frage, ob Olearius - wie von der Anklage gefordert - 43 Millionen Euro
zahlen muss, werde in dem Verfahren ebenfalls nicht geklärt. Dies könnte die
Staatsanwaltschaft später in einem separaten Einziehungsverfahren anstrengen, in
dem Olearius nicht anwesend sein müsste und in dem es nicht um die Schuldfrage
ginge.

Gesundheit wird zum Verfahrenshindernis

Laut einem vom Gericht eingeholten medizinischen Gutachten ist der
82-Jährige gesundheitlich angeschlagen, er darf pro Verhandlungstag nur maximal
45 Minuten auf der Anklagebank sitzen. Sowohl die Verteidigung als auch die
Staatsanwaltschaft beantragten die Einstellung des Verfahrens. Nach Berechnung
der Ankläger könnte es bei so einem knappen Zeitkontingent noch 120
Verhandlungstage dauern, bis die Beweisaufnahme geschlossen wäre - das wäre dem
Angeklagten nicht zuzumuten, schlussfolgerte die Staatsanwaltschaft und wertete
die Gesundheit - Olearius hat hohen Blutdruck - als dauerhaftes
Verfahrenshindernis.

Die Vorsitzende Richterin Marion Slota-Haaf sagte, der Kammer sei es in der
Vergangenheit bereits aufgefallen, dass der Angeklagte auf dem Stuhl im
Gerichtssaal mehrfach in sich zusammengesackt sei und abwesend gewirkt habe. "Es
kann jetzt nicht mehr ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte dem Verfahren
teilweise im verhandlungsunfähigen Zustand beigewohnt hat."

Beweisanträge abgelehnt

Bei der dreiviertelstündigen Verhandlung am Montag ging es um diverse
Beweisanträge von Verteidigung und Staatsanwaltschaft, die das Gericht allesamt
ablehnte. Aus Sicht der Verteidigung war Olearius unter anderem in seinem Recht
auf ein faires Verfahren verletzt, da es eine öffentliche Vorverurteilung gegen
ihn gegeben habe. Als einen Beleg dafür hatten die Verteidiger ein Bündel an
Zeitungsartikeln und anderen Medienbeiträgen über Olearius eingereicht. Die
Vorsitzende Richterin befand solche Beweismittel aber als ungeeignet. Die
Staatsanwaltschaft wiederum hatte die Überleitung in ein Einziehungsverfahren
beantragt, um von Olearius Taterträge von 43 Millionen Euro einzuholen. Dies
lehnte das Gericht ab, da die Staatsanwaltschaft hierzu bislang nicht fertig
ermittelt habe.

Der Cum-Ex-Betrug mit illegalen Aktiendeals gilt als größter Steuerskandal
der Bundesrepublik, der Fiskus und damit die Allgemeinheit wurden insgesamt um
einen zweistelligen Milliarden-Euro-Betrag gebracht. Olearius war lange Chef und
später Aufsichtsratsvorsitzender der Hamburger Privatbank M.M. Warburg, die bei
den Cum-Ex-Geschäften jahrelang mitmischte. Heute ist er noch Gesellschafter der
Privatbank.

Es geht um den Zeitraum 2006 bis 2011

Die Anklage warf ihm 14 Fälle besonders schwerer Steuerhinterziehung vor,
die zu einem Steuerschaden von knapp 280 Millionen Euro geführt haben sollen. In
zwei Fällen blieb es beim Versuch. Im Kern bezogen sich die Taten auf den
Zeitraum 2006 bis 2011 und damit die Hochphase der Aktiendeals, die der
Bundesgerichtshof 2021 als Straftat wertete. Olearius beteuerte im Bonner
Verfahren seine Unschuld und berief sich auf seine Unwissenheit. Am kommenden
Montag dürfte er aller Voraussicht nach zum letzten Mal den Bonner Gerichtssaal
betreten./wdw/DP/jha

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