11.07.2024 08:15:05 - dpa-AFX: HINTERGRUND: Hype um Abnehmspritze - ein Jahr "Wegovy" in Deutschland

BERLIN (dpa-AFX) - Dass um ein Medikament ein regelrechter Hype entsteht,
ist selten. Doch mit dem Mittel "Wegovy" ist es passiert: Menschen zeigen in
sozialen Medien, wie sie mit damit abnehmen - und berichten von Nebenwirkungen.
Was hat sich seit der Einführung vor einem Jahr getan? Ein Überblick:

Was ist "Wegovy"?

"Wegovy" ist ein verschreibungspflichtiges Medikament, das beim Abnehmen und Halten von Gewicht helfen soll, indem es den Appetit zügelt und das
Sättigungsgefühl steigert. Für diese Nutzung können Ärztinnen und Ärzte das
Mittel des dänischen Unternehmens Novo Nordisk seit Mitte Juli
2023 in Deutschland verschreiben. Patienten spritzen es sich mit einem
Fertigpen, der einem Stift ähnelt, einmal pro Woche unter die Haut.

Der "Wegovy"-Wirkstoff Semaglutid wurde schon seit längerem zur Behandlung
von Typ-2-Diabetes genutzt - unter dem Handelsnamen "Ozempic". "Wegovy" enthält
den Wirkstoff in höherer Dosierung und wurde für Menschen mit Adipositas, also
Fettleibigkeit zugelassen, ab einem Body-Mass-Index (BMI) von 30. Die Therapie
soll mit Diät und Bewegung kombiniert werden.

Wie wirkt "Wegovy"?

Der "Wegovy"-Wirkstoff Semaglutid imitiert die Wirkung des Darmhormons GLP-1 (Glucagon-like peptide-1). Dieses werde nach dem Essen aus dem Dünndarm
freigesetzt, erläutert Matthias Laudes, Vizepräsident der Deutschen Adipositas
Gesellschaft (DAG) und Direktor des Instituts für Diabetologie und klinische
Stoffwechselforschung am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein.

Das Hormon signalisiere der Bauchspeicheldrüse, Insulin zu produzieren. "Das ist die antidiabetische Wirkung", sagt Laudes. Der zweite Effekt sei, dass dem
Gehirn mitgeteilt werde, dass etwas gegessen wurde und es ein
Sättigungsempfinden entwickeln könne. "Das ist die gewichtsregulierende
Wirkung."

Die dritte Wirkung sei, dass dem Magen signalisiert werde, dass noch
genügend Essen im Dünndarm sei, die Magenentleerung also verzögert werde.
Insbesondere diesen Effekt bemerkten Patienten als Nebenwirkung - nämlich
Übelkeit. Das lege sich aber in der Regel, wenn die Leute sich daran gewöhnten,
kleinere Portionen zu essen, sagt Laudes.

Welche weiteren Nebenwirkungen gibt es?

Neben Übelkeit komme es zu Beginn der Therapie häufig zu weiteren
Magen-Darm-Beschwerden wie Erbrechen, Durchfall und Verstopfung, sagt Karsten
Müssig von der Deutschen Gesellschaft für Endokrinologie (DGE), Chefarzt der
Klinik für Innere Medizin, Gastroenterologie und Diabetologie am
Franziskus-Hospital Harderberg. Daher werde mit einer niedrigen Dosis begonnen,
die nach und nach gesteigert werde. Seltene Nebenwirkungen seien eine Entzündung
der Bauchspeicheldrüse und Darmverschluss. "Deshalb sollte die Behandlung nur
unter ärztlicher Kontrolle erfolgen", mahnt Müssig.

Eine jüngst in der Fachzeitschrift "Jama Ophthalmology" veröffentlichte
Studie deutet darauf hin, dass Semaglutid in sehr seltenen Fällen mit einer
schweren Augenerkrankung einhergehen könnte
- der sogenannten nicht-arteriitischen anterioren ischämischen
Optikusneuropathie (NAION). Erwiesen sei dies zwar nicht, ernst nehmen müsse man
es aber schon, sagt Horst Helbig von der Deutschen Ophthalmologischen
Gesellschaft (DOG) und vom Universitätsklinikum Regensburg. Die Klärung dieser
Frage bedürfe weiterer Untersuchungen und einer sorgfältigen Beobachtung von
Patienten.

Berichte deuten auf ein weiteres Phänomen hin, bekannt unter dem Begriff
"Ozempic Face": Generell kann bei einer schnellen Gewichtsabnahme das Gesicht
eingefallen und stark gealtert wirken.

Muss "Wegovy" lebenslang genommen werden?

Adipositas sei ebenso wie Diabetes eine chronische Erkrankung, sagt Laudes,
daher müsse das Medikament lebenslang genommen werden. "Bei einem
Diabetesmedikament würde ja auch niemand sagen, das könne man nach sechs Monaten
absetzen", sagt Laudes. "Jeder adipöse Mensch hat sein Leben lang das Problem,
dass er immer wieder zunehmen kann." Das sehe man etwa auch nach
Magenverkleinerungen.

Worauf müssen Patienten achten?

Eine Adipositas-Therapie sollte immer auch eine Änderung des Lebensstils
enthalten, etwa im Sinne einer ausgewogenen Ernährung und regelmäßiger
körperlicher Bewegung, sagt der DGE-Experte Müssig. Die Kost sollte
kalorienreduziert und ballaststoffreich sein und außerdem weniger gesättigte und
mehr ungesättigte Fettsäuren enthalten - ähnlich wie bei der mediterranen
Ernährung.

Was kostet "Wegovy"?

Der Preis der Adipositas-Therapie beläuft sich laut Müssig auf etwa 300 Euro monatlich. Patienten müssen die Kosten selbst tragen, denn das Medikament wird
nicht von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen.

Beeinflusst "Wegovy" die Fruchtbarkeit von Frauen?

Unter der Behandlung mit Semaglutid - also "Wegovy" oder "Ozempic" - habe es bei Frauen, die längere Zeit einen unerfüllten Kinderwunsch hatten,
Schwangerschaften gegeben, sagt Ulrich Knuth, Vorsitzender des Bundesverbands
Reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschland (BRZ). Valide Zahlen dazu gebe es
allerdings nicht. Möglicherweise, so der Experte, spiele hier die Verringerung
des Körpergewichts eine Rolle. Es sei bekannt, dass Adipositas die
Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft verringere.

Während der Schwangerschaft und Stillzeit soll das Präparat nicht verwendet
werden. Wer ein Kind bekommen wolle, sollte Semaglutid mit einem Vorlauf von
mindestens zwei Monaten absetzen, schreibt die europäische Arzneimittelbehörde
EMA.

Welches Fazit kann nach einem Jahr gezogen werden?

Das Diabetesmedikament "Ozempic" sei schon lange Zeit jenseits der
eigentlichen Zulassung - also gegen Typ-2-Diabetes - zur Gewichtsreduktion
eingesetzt worden, sagt Diabetologe Müssig. Die Einführung von "Wegovy" ging vor
einem Jahr mit der Hoffnung einher, dass "Ozempic" nicht länger als
Adipositas-Medikament eingesetzt wird und verstärkt den Diabetes-Patienten zur
Verfügung steht. Zwar habe sich inzwischen die Verfügbarkeit von "Ozempic"
gebessert, aber es gebe weiterhin Lieferengpässe. Adipositas-Experte Laudes
sagt, auch bei "Wegovy" sei die Nachfrage größer als die Produktion.

Diese Situation erhöht das Risiko von Produktfälschungen - und die EMA warnt explizit vor dem Kauf solcher Präparate auf dem Schwarzmarkt. Zudem sollten die
Präparate nur für die jeweiligen Zulassungen - Typ-2-Diabetes und Adipositas -
zum Einsatz kommen. Wenn nicht adipöse Menschen solche Medikamente lediglich
dazu nutzten, um ihre Figur zu optimieren, verschlimmere dies die ohnehin
bestehenden Engpässe.

Ist Novo Nordisc der einzige Anbieter einer Abnehmspritze?

Nein. Der US-Pharmakonzern Eli Lilly vertreibt inzwischen
unter dem Namen "Mounjaro" ebenfalls eine Abnehmspritze - sie beinhaltet den
Wirkstoff Tirzepatid, der ebenso wie Semaglutid ein GLP-1-Rezeptoragonist ist.
Sie ist seit Ende vergangenen Jahres in der EU zugelassen.

Gerade ergab eine Studie, dass sich damit deutlich eher ein starker
Gewichtsverlust erreichen lässt als mit Semaglutid. Die Nebenwirkungsrisiken
beider Substanzen seien vergleichbar, berichtet das Forschungsteam im
Fachjournal "JAMA Internal Medicine". Aussagen zu Langzeitfolgen sowie zum
Erreichen wichtiger Ziele wie einem verringerten Risiko für Herzinfarkte ließen
sich aus der Analyse aber nicht ableiten./aky/DP/stk
Name WKN Börse Kurs Datum/Zeit Diff. Diff. % Geld Brief Erster Schluss
ELI LILLY 858560 Xetra 751,900 30.07.24 11:28:04 +6,700 +0,90% 750,800 752,000 747,000 745,200
NOVO-NORDISK AS B DK 0,1 A3EU6F Xetra 121,180 30.07.24 11:35:35 +3,160 +2,68% 121,080 121,160 119,360 118,020

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