26.05.2024 15:58:41 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Wegen Rassismus-Vorwürfen - Deutschland blickt auf Sylt

KAMPEN (dpa-AFX) - Die Eiswürfel klirren in den Gläsern, aus den Musikboxen
dröhnen Bässe über die Terrasse des Nobellokals Pony auf Sylt. Dort, wo junge
Männer und Frauen auf einer Pfingstparty vor einer Woche offenbar rassistische
Parolen gegrölt hatten, sitzen am Freitagabend Menschen unter dem rosafarbenen
Abendhimmel und trinken entspannt Gin-Tonic. Am Abend, nachdem das Party-Video
sich viral verbreitet hatte, sitzen hier nur wenige Menschen, die Kellner wirken
erschöpft vom Medienrummel rund um die "Deutschland den Deutschen - Ausländer
raus!" -Gesänge zur Melodie eines Party-Hits.

Der Eklat um das Video, das zu Pfingsten in dem Lokal im Inselort Kampen
entstanden sein soll, beschäftigt jetzt ganz Deutschland. Seit Donnerstagabend
geht der kurze Clip in den sozialen Medien viral - das Entsetzen ist groß. Der
Staatsschutz ermittelt, Politikerinnen und Politiker äußern sich schockiert.

Mahnwache mit rund 100 Menschen

Am Sonntag kommen in Kampen nach Angaben der Polizei rund 70 bis 80 Menschen zu einer Mahnwache zusammen. Einige haben nach Angaben einer dpa-Reporterin
Plakate dabei. Vonseiten der Veranstalter heißt es bei der Kundgebung zu dem
Vorfall im Pony: "Das macht einen betroffen, und das macht einen besorgt, dass
so etwas hier auf Sylt stattfindet." Auch am kommenden Sonntag soll es eine
Demonstration geben.

Vor zwei Jahren waren Punks aus ganz Deutschland mit dem 9-Euro-Ticket nach
Sylt gereist und hatten unter anderem mit ihrem Protestcamp für Schlagzeilen
gesorgt. Ähnlich wie damals wird jetzt bundesweit über die Menschen geschrieben,
getwittert und diskutiert, die auf Sylt zu "L'amour toujours" von Gigi
D'Agostino - scheinbar völlig ungeniert und ausgelassen - rassistische Parolen
grölen. Ein Mann scheint mit seinen Fingern auf der Oberlippe einen Hitlerbart
anzudeuten. Selbst Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat sich öffentlich zu den
Vorkommnissen im Pony geäußert. Es ist nicht das erste Mal, dass das Lied in
Deutschland für rechte Parolen missbraucht wird - aber wohl der Vorfall, der am
meisten öffentlich diskutiert wird.

Expertin: Sylt steht im Medien-Fokus

"Die mediale Aufmerksamkeit hat etwas damit zu tun hat, dass es jetzt nicht
klischeehaft irgendwo tief in Sachsen, in einer Kneipe oder Disco stattfindet,
sondern eben da, wo die "Schönen und Reichen" sind", sagt Dr. Pia Lamberty,
Co-Geschäftsführerin des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (Cemas).
Dieser Bruch mit Erwartungen generiere generell mehr Aufmerksamkeit.

In Kampen: Party-Gast erzählt vom Abend

Luca Huth war am Pfingstsamstag im Pony, er ist schockiert. "Man kann den
Kellnern keinen Vorwurf machen, man konnte es nicht hören, es war ja nur drei
Sekunden lang, und es wurde überall so laut gegrölt", sagt der 23-Jährige, der
jedes Wochenende im Pony ist. Auf seinem Handy zeigt der Sylter einen von ihm
gefilmten Clip. Dort ist zu sehen, wie er nur wenige Meter von den Sängern der
rassistischen Zeilen entfernt mit seinen Freunden zu "L'amour toujours" feiert.
Einzelne Gesänge zur Melodie des Party-Hits sind dort im Stimmen-Geschrei nicht
zu hören.

Das berichten auch andere Gäste am Freitagabend im Pony. Es sei so laut
gewesen zu Pfingsten, es gehe in der Masse unter, wenn fünf Leute singen. Viele
der Gäste hätten am Pfingstsamstag auch die Fußball-Parole "Hamburger Jungs" zum
Lied gesungen, sagt eine junge Frau.

Betreiber veröffentlichen Video aus Überwachungskamera

Die Betreiber des Ponys distanzieren sich von dem rassistischen Vorfall und
kündigten Konsequenzen an. Am Sonntag veröffentlichen sie zudem eine Sequenz aus
einem Überwachungsvideo, die die Szene aus einer anderen Perspektive zeigt. "An
alle, die ständig fragen: "Hat man das nicht mitbekommen?" Ihr seht selbst, dass
die Mehrheit auf dem Video ihren Spaß hat, während eine kleine Gruppe etwas
skandiert, das mit unseren Grundwerten nicht vereinbar ist." In dem Beitrag
berichten die Betreiber zudem von Beschimpfungen und Morddrohungen, die sie
erhalten hätten.

Dirk Erdmann, Sylter Dehoga-Chef und Betreiber des Hotels Rungholt in
Kampen, sagt der Deutschen Presse-Agentur zu dem Vorfall im Pony: "Wir
verurteilen die Aktion scharf, es ist einfach schrecklich. Diese Menschen
gehören so hart bestraft, wie es in einem Rechtsstaat möglich ist." Mit Kollegen
auf der Nordseeinsel will er jetzt über eine mögliche Kampagne gegen rechts in
Restaurants und Hotels sprechen. Aktionismus sei hier fehl am Platz: "Das muss
man mit Bedacht machen", sagt er. Mögliche Konsequenzen des Videos für Sylt als
Urlaubsinsel seien derzeit nicht absehbar. "Sylt ist nicht rassistisch, und ich
hoffe, dass dieser Vorfall wegen solcher Dummköpfe dem Image der Insel nicht
schadet."

Auch der Club Rotes Kliff im Nobelort Kampen berichtet von einem
"Rassismus-Vorfall" zu Pfingsten. Die betroffenen Personen seien des Clubs
verwiesen worden und hätten dort jetzt Hausverbot, schreiben die Betreiber am
Freitag auf Instagram.

Jürgen Gosch und Sansibar: Gastronomen distanzieren sich

Zahlreiche Restaurantbetreiber auf der Insel distanzieren sich von den
rassistischen Parolen im Pony, unter ihnen auch Sansibar-Chef Herbert Seckler.
Jürgen Gosch, Betreiber des gleichnamigen Fischimperiums auf Sylt, wollte sich
am Samstag nicht zum Pony-Eklat äußern: "Ich war nicht in Kampen dabei. Am
Lister Hafen ist eine friedliche Welt", sagt er der dpa. Die Gemeinde Kampen
verurteilt den Vorfall im Pony ebenfalls. "Kampen ist ein weltoffenes Dorf,
diese Personen repräsentieren weder das Dorf noch die Insel", sagt Kampens
Bürgermeisterin Stefanie Böhm. Man dürfe die Augen vor solchen Aktionen nicht
verschließen. Eine Konsequenz: Auch die Gemeinde hat Anzeige
erstattet./lsa/DP/he

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