30.06.2024 17:51:24 - dpa-AFX: ROUNDUP: Schicksalswahl in Frankreich bringt mehr Menschen an die Wahlurnen

PARIS (dpa-AFX) - Mit einer überraschend hohen Wahlbeteiligung geht die
erste Runde der vorgezogenen Parlamentswahl in Frankreich auf die Zielgerade.
Bis 17.00 Uhr gaben 59,39 Prozent der eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler
ihre Stimme ab, wie das Pariser Innenministerium mitteilte. Das sind knapp 20
Prozentpunkte mehr als zum gleichen Zeitpunkt bei der vorangegangenen
Parlamentswahl vor zwei Jahren.

Bereits der Zwischenwert liegt über der Gesamtwahlbeteiligung 2022 von 47,51 Prozent. Die Wahllokale sind noch bis 20.00 Uhr geöffnet. Dann wird auch mit
Hochrechnungen zum Wahlausgang gerechnet.

Die Sicherheitskräfte in Frankreich haben sich darauf eingerichtet, dass es
bereits am Abend der ersten Wahlrunde in einigen Großstädten des Landes zu
Unruhen kommen könnte.

Machtwechsel in Paris möglich

Die rund 49,3 Millionen Wahlberechtigten können darüber abstimmen, ob auch
künftig das Mitte-Lager von Staatschef Emmanuel Macron die Mehrheit in der
Nationalversammlung haben wird und damit die Regierung stellt. Andernfalls steht
ein Machtwechsel in Paris an und Premierminister Gabriel Attal muss das Feld
räumen.

Macron hatte die Nationalversammlung nach der klaren Schlappe seiner
Liberalen bei der Europawahl und dem haushohen Sieg des rechtsnationalen
Rassemblement National (RN) aufgelöst und Neuwahlen der französischen
Parlamentskammer in zwei Durchgängen angekündigt. Die zweite und entscheidende
Wahlrunde ist am 7. Juli. Um Macrons Präsidentenamt geht es bei dem Votum nicht.

Umfragen sehen Rechtsnationale vorne

Staatschef Macron hofft, bei dem Votum die relative Mehrheit seines
Mitte-Lagers in der Nationalversammlung auszubauen. Es gilt jedoch als
unwahrscheinlich, dass ihm das gelingt. Umfragen sahen Macrons Kräfte in der
ersten Wahlrunde am Sonntag mit 20 bis 20,5 Prozent nur auf Platz drei. Auf
Platz eins lag demnach das rechte Rassemblement National mit 36 bis 36,5 Prozent
gefolgt vom Linksbündnis mit 29 Prozent.

Das RN von Marine Le Pen malt sich bereits Chancen auf eine Mehrheit in der
Parlamentskammer und den Posten des Premierministers aus. Auch das neue
Linksbündnis aus Grünen, Sozialisten, Kommunisten und Linkspartei strebt einen
Regierungswechsel an.

Stichwahlen am 7. Juli vielerorts entscheidend

Wie genau das Parlament nach der Wahl aussehen wird, ist ungewiss. Die
wenigsten der 577 Sitze werden im ersten Durchgang vergeben. Entscheidend sind
in vielen Wahlkreisen die Stichwahlen in der zweiten Runde. Während bei der
regulären Parlamentswahl vor zwei Jahren gerade einmal fünf Sitze in der ersten
Runde errungen wurden, könnten dem Umfrageinstitut Ipsos zufolge dieses Mal
bereits 80 bis 90 Sitze direkt gewonnen werden. Grund dafür wäre die erwartete
höhere Wahlbeteiligung und eine stärkere Konzentrierung auf die drei politischen
Bündnisse.

Auch wenn Aussagen über die zweite Runde schwierig sind, gehen Prognosen
davon aus, dass die Rechtsnationalen stärkste Kraft in der Nationalversammlung
werden könnten. Ob es auch für eine absolute Mehrheit reichen könnte, ist unklar
- auch, weil zwischen den beiden Wahlrunden oft lokal Bündnisse geschlossen
werden, die den Ausgang beeinflussen. Während die Linken stabil bleiben könnten,
dürfte Macrons Mitte-Lager Sitze verlieren.

Sieg der Rechten hätte auch international Konsequenzen

Ein solcher Ausgang hätte schwerwiegende Folgen. Die Nationalversammlung ist eine von zwei französischen Parlamentskammern. Sie ist an der Gesetzgebung
beteiligt und kann per Misstrauensvotum die Regierung stürzen. Sollte ein
anderer Block als Macrons Mitte-Lager die absolute Mehrheit erlangen, wäre
Macron de facto gezwungen, einen Premier aus dessen Reihen zu ernennen. Es gäbe
dann eine sogenannte Kohabitation. Macrons Macht würde deutlich schrumpfen, der
Premier würde wichtiger.

Die Rechtsnationalen setzen explizit darauf, die Wahl zu gewinnen und
Regierungsverantwortung zu übernehmen. RN-Parteichef Jordan Bardella soll
Premierminister werden. In einem solchen Szenario hätte Macron Schwierigkeiten,
seine Linien international durchzusetzen. Auch in Brüssel und Berlin wird die
Wahl daher mit Spannung verfolgt./rbo/DP/nas

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