01.07.2024 16:03:27 - dpa-AFX: GESAMT-ROUNDUP/Haushalt 2025: Worüber die Ampel-Koalition verhandelt

BERLIN (dpa-AFX) - Es könnte die Woche der Wahrheit bei den
Haushaltsverhandlungen der Ampel-Regierung werden: Wenn der Bundestag den
Etatentwurf rechtzeitig bekommen soll, müssen sich die Koalitionsspitzen in den
nächsten Tagen einigen. Zwar sollen, so hört man in Regierungskreisen, viele
Probleme schon abgeräumt sein. Doch das Milliardenloch ist noch nicht gestopft.
Deutlicher als jemals zuvor prallen deshalb Grundüberzeugungen aufeinander - und
nach wie vor haben manche Angst um die Zukunft der Koalition.

Die Milliardenlücke

Die Bundesregierung will im kommenden Jahr um die 450 Milliarden Euro
ausgeben. Finanzminister Christian Lindner (FDP) hatte schon vor den
Verhandlungen allerdings eine Lücke in einer Größenordnung von 15 bis 30
Milliarden in seiner Planung. Er machte seinen Ministerkollegen deshalb enge
Budgetvorgaben - doch lange nicht alle hielten diese ein. Besonders
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Verteidigungsminister Boris
Pistorius, Arbeitsminister Hubertus Heil, Entwicklungsministerin Svenja Schulze
und Innenministerin Nancy Faeser (alle SPD) forderten deutlich mehr Geld.

Deshalb ist der Haushalt jetzt Chefsache: In Dutzenden Dreiergesprächen
haben sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), Vizekanzler Robert Habeck (Grüne)
und Lindner dem Vernehmen nach inzwischen einigermaßen zusammengerauft. Sie
treffen sich nahezu täglich, auch am Wochenende. "Auch in den nächsten Tagen"
wollten die Verhandler noch weiter beraten, sagte Regierungssprecher Steffen
Hebestreit. "Die Woche ist noch lang."

Die üblichen Spielräume ausgereizt

Die Verhandler sind den Haushalt Posten für Posten durchgegangen. Es ging um kleine Einsparungen und Umschichtungen, hier ein paar Millionen, da Milliarden.
Einige Minister machten Zugeständnisse - im Sinne der Sache.

Auch die üblichen Spielräume in einem Bundeshaushalt dürften inzwischen
ausgereizt sein - eine Neuberechnung der erwarteten Zinszahlungen nach der
Zinssenkung der Europäischen Zentralbank etwa. Auch ein Nachtragshaushalt für
das laufende Haushaltsjahr könnte etwas entlasten. Denn wegen der schlechten
Konjunktur darf der Bund einige Milliarden Euro mehr Schulden machen, als noch
zu Jahresbeginn gedacht. Nutzt man das aus, könnten andere Rücklagen etwas
geschont werden - und für das nächste Jahr zur Verfügung stehen.

Doch zugleich hört man: Das alles wird voraussichtlich nicht reichen.

Die Schuldenbremse und die FDP als Außenseiter

Vor allem die Sozialdemokraten werfen deshalb immer wieder in den Raum,
zusätzliche Schulden aufzunehmen. Bei den Grünen rennen sie damit offene Türen
ein, bei der FDP gegen eine Wand. Doch um Finanzminister Lindner und seine
Partei ist es einsam geworden in dieser Frage. Auch viele Ökonomen und
Wirtschaftsvertreter fordern, mehr Schulden zu machen als vorgesehen.

Im Raum stehen neue Sondertöpfe, die außerhalb der Schuldenbremse laufen
könnten - zum Beispiel, um Milliarden in die Infrastruktur zu stecken. Andere
wollen, dass der Bundestag wegen der hohen Ausgaben im Zusammenhang mit dem
Ukraine-Krieg eine Notlage feststellt. Dann könnte laut Grundgesetz die
Schuldenbremse außer Kraft gesetzt werden.

Bei beidem zieht die FDP eine rote Linie. Auf die Aussage von SPD-Chefin
Saskia Esken, "Für mich ist es zweitrangig, ob die Schuldenbremse eingehalten
wird oder ob sie erneut wegen der Notlage durch den Ukraine-Krieg ausgesetzt
wird", reagierte Lindner süffisant: "Rechtsstaat ist. wenn Du auch die Artikel
des Grundgesetzes respektierst, die Du nicht liebst", schrieb er auf X.

Die FDP warnt, wenn der Bund jetzt mehr Schulden mache, würden die Zinsen
später erdrückend. Das sei nicht fair für künftige Generationen. Gerade bei
jüngeren Liberalen hat sich Frust angestaut, nachdem Lindner kürzlich einem
Rentenpaket zustimmte, dessen Hauptlast die junge Generation tragen muss.
Vielleicht fordert Parteichef Lindner auch deshalb so vehement einen
steuerlichen Ausgleich der Inflation. Zuletzt ließ er den Eindruck zu, daran
auch den Fortbestand der Koalition zu knüpfen.

Der Kanzler unter Druck seiner Partei

Kanzler Scholz zeigte sich in Sachen Einhaltung der Schuldenbremse zumindest öffentlich zuletzt ziemlich auf Lindner-Linie. "Wir müssen mit dem Geld
auskommen, das wir haben. Daran führt nun mal kein Weg vorbei", sagte er im
Sommerinterview der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Auch er blickt kritisch
auf möglichen Sozialmissbrauch beim Bürgergeld - und provozierte damit den
linken Flügel seiner Partei.

Und die setzt Scholz nun erstmals seit seiner Kanzlerkandidatur sichtlich
unter Druck. Alle drei Strömungen der Fraktion, die sonst selten mit einer
Stimme sprechen, wettern gemeinsam gegen das "Dogma der schwarzen Null" und
fordern eine Ausnahme von der Schuldenregel. Eine linke Parteigruppierung wollte
sogar ein Mitgliederbegehren gegen von der FDP geforderte Einschnitte im
Sozialbereich starten. Sie wollten den SPD-Abgeordneten vorschreiben, unter
welchen Bedingungen sie dem Haushalt im Bundestag zustimmen dürften.

Die Parteiführung stoppte das am Montag, weil sie es für unzulässig hält.
"Die Haushaltsgesetzgebung liegt beim Deutschen Bundestag und den freigewählten
Abgeordneten und kann folglich nicht in einem Mitgliederbegehren verhandelt
werden", hieß es nach einer Sitzung des SPD-Präsidiums. Doch die Botschaft an
die FDP - und auch an den eigenen Kanzler - ist klar: Wir lassen nicht alles mit
uns machen.

Der Bundestag mit letztem Wort

Die Verhandler wollen den Haushalt am 17. Juli ins Kabinett bringen. Nach
dem Kabinettsbeschluss wird der Entwurf dann an den Bundestag weitergeleitet.
Die Haushalts-Experten in den Fraktionen brauchen fast den ganzen Sommer, um die
mehrere Tausend Seiten durchzuarbeiten. Danach beginnt das parlamentarische
Verfahren - und damit ein neues, monatelanges Ringen um Millionen für dieses und
Milliarden für jenes Projekt. Denn das letzte Wort zum Haushalt hat das
Parlament. Der endgültige Beschluss fällt üblicherweise in einer Haushaltswoche
im Dezember./tam/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH