10.07.2024 22:02:34 - dpa-AFX: ROUNDUP 4/Baerbock: Wegen Krisen keine erneute Kanzlerkandidatur

(neu: mehr Details u.a. zu Habeck, 4. Abs.)

BERLIN/WASHINGTON (dpa-AFX) - Annalena Baerbock strebt keine erneute
Grünen-Kanzlerkandidatur an und will sich auf ihr Amt als Außenministerin
konzentrieren. Statt in einer Kanzlerkandidatur gebunden zu sein, wolle sie
angesichts der internationalen Krisen ihre Kraft voll ihrer aktuellen Aufgabe
widmen, erklärte die Grünen-Politikerin in einem Interview des US-Fernsehsenders
CNN am Rande des Nato-Gipfels in Washington.

"Die Welt ist offensichtlich eine ganz andere als zur letzten
Bundestagswahl", sagte Baerbock laut offizieller Übersetzung des Auswärtigen
Amts in Berlin. "Im Lichte des russischen Angriffskriegs und nun auch der
dramatischen Lage im Nahen Osten braucht es nicht weniger, sondern mehr
Diplomatie. Sonst füllen die Lücke andere", ergänzte sie.

"Staatspolitische Verantwortung in extremen Zeiten"

Baerbock fügte in dem von der CNN-Journalistin Christiane Amanpour geführten Interview hinzu: "Daher bedeutet in diesen extremen Zeiten staatspolitische
Verantwortung als Außenministerin für mich: Statt in einer Kanzlerkandidatur
gebunden zu sein, meine Kraft weiterhin voll und ganz meiner Aufgabe zu widmen,
Vertrauen, Kooperation und verlässliche Strukturen zu bilden - für und mit so
vielen Partnern weltweit und in Europa, die darauf bauen."

Baerbocks Parteikollege, Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert Habeck,
ist derzeit auf Sommerreise durch mehrere Bundesländer. Nach Baerbocks Interview
gab er sich in Dortmund zurückhaltend auf die Frage, ob er jetzt seine
Kanzlerkandidatur erkläre. Baerbock habe dafür gesorgt, dass Deutschland in den
letzten Jahren ein Stabilitätsfaktor in der Außenpolitik gewesen sei und nach
wie vor sei - sie mache einen hervorragenden Job als Außenministerin, sagte er
vor der Skulptur "Hüttenmann", im Hintergrund ein stillgelegter Hochofen. "Alles
Weitere werden wir in den Gremien beraten und die richtigen Entscheidungen
rechtzeitig verkünden." Dem Vernehmen nach war er informiert über den Schritt
seiner Kollegin.

Baerbock hatte sich vor der Bundestagswahl 2021 mit Habeck geeinigt, damals
als Kanzlerkandidatin der Grünen anzutreten. Die Partei lag zu der Zeit weit
über 20 Prozent, derzeit rangiert sie nur bei 11 Prozent. Damals hatte Habeck
der "Zeit" nach seinem Verzicht gesagt: "Nichts wollte ich mehr, als dieser
Republik als Kanzler zu dienen." Baerbock versicherte in ihrem jetzigen
Interview: "Natürlich werde ich im Wahlkampf alles tun, um meine Partei zu
unterstützen, wie ich es das letzte Mal auch getan habe."

Habeck ist die Lust auf die Kanzlerkandidatur anzumerken

Dass entweder Baerbock oder Vizekanzler und Wirtschaftsminister Robert
Habeck die Grünen in den nächsten Bundestagswahlkampf führen würden, ist seit
Längerem klar. Habeck ist die Lust auf die Kandidatur seit Monaten deutlich
anzumerken, auch wenn er das bislang nicht glasklar gesagt hat. Wie auch?
Schließlich gibt es da noch Baerbock.

In deren Umfeld hieß es noch im Frühjahr, man wolle am vor zweieinhalb
Jahren vereinbarten Verfahren zur Kandidatenaufstellung festhalten. Im September
2022 hatte der Vorstand entschieden, dass die Partei-Basis bei einer Urwahl
entscheiden solle, falls es mehrere aussichtsreiche Kandidaten geben sollte.
Doch eine Hängepartie, womöglich öffentlich ausgetragen, wollte man gerne
vermeiden. Spitzen-Grüne hofften stets, dass die beiden früheren Parteichefs
sich gütlich einigen würden.

Grünen-Spitzen loben Baerbocks Entscheidung

Die beiden Fraktionsvorsitzenden der Grünen im Bundestag, Katharina Dröge
und Britta Haßelmann, erklärten jeweils auf X, es sei verantwortungsvoll, dass
Baerbock sich in dieser Zeit auf die Außenpolitik konzentriere. Sie lobten
Baerbock zudem für ihr "Teamplay". "Gut so, für unser Land und für uns Grüne",
schrieb Haßelmann.

Ähnlich äußerten sich die Parteivorsitzenden Omid Nouripour und Ricarda
Lang: "So ist Annalena Baerbock, und so schätzen wir sie: mit Verantwortung für
das Ganze und als Teamspielerin." Dank Baerbock sei Deutschland ein
verlässlicher Partner in der Welt. "Gerade jetzt braucht Deutschland eine
engagierte Außenministerin wie Annalena Baerbock." Und auch von ihnen hieß es:
"Alles Weitere entscheiden wir zum gegebenen Zeitpunkt."

Hätte Baerbock auf der Kandidatur bestanden, wäre ein Machtkampf mit Habeck
kaum vermeidbar gewesen. Das wirft die Frage auf: Wie viel Ärger, wie viel
politisches Kapital ist so ein Kampf wert? Und das gerade bei einer Partei, die
in den jüngsten Umfragen nur bei 11 Prozent rangiert?

Baerbock ist für eine Politikerin noch jung

Derzeit scheint abwegig, dass der nächste Kanzler (oder die nächste
Kanzlerin) ein grünes Parteibuch haben könnte. Aber es gibt ja noch ein
übernächstes Mal. Und Baerbock ist mit 43 Jahren jung für eine Politikerin -
vielleicht erklärt auch das den Verzicht./bk/hrz/DP/he

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