26.06.2024 14:52:31 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Spionageprozess gegen US-Reporter Gershkovich angelaufen

MOSKAU (dpa-AFX) - In Russland hat in Jekaterinburg am Ural der Prozess
gegen den seit mehr als einem Jahr inhaftierten US-Reporter Evan Gershkovich
wegen angeblicher Spionage begonnen. Die erste Sitzung fand am Mittwoch nach
Angaben russischer Agenturen unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Medien
durften nur bei Prozessbeginn den Angeklagten in einem Glaskäfig des
Verhandlungssaals fotografieren. Die Anhörung dauerte mehrere Stunden, die
zweite Sitzung wurde auf den 13. August verschoben. Auch die weiteren
Prozesstage sollen hinter verschlossenen Türen stattfinden.

Nach Angaben der russischen Generalstaatsanwaltschaft soll Gershkovich im
Auftrag des US-Geheimdienstes CIA geheime Informationen gesammelt haben. Es sei
um die Produktion und Reparatur von Rüstungsgütern in der Fabrik Uralvagonzavod
in Nischni Tagil gegangen. Gershkovich sei bei seinem illegalen Tun nach allen
Regeln der Konspiration vorgegangen, hieß es. Der im März 2023 bei einer
Recherchereise festgenommene Gershkovich und sein Arbeitgeber, das "Wall Street
Journal", haben die Vorwürfe dementiert.

So schrieb die Chefredakteurin der Zeitung, Emma Tucker, in einem Kommentar
zum Verhandlungsbeginn: "Es überhaupt als Prozess zu bezeichnen, ist unfair
gegenüber Evan und eine Fortsetzung dieser Justizfarce, die bereits viel zu
lange dauert". Der Kreml gehe mit aller Härte gegen unabhängige
Berichterstattung vor und habe "Journalismus praktisch zu einem Verbrechen
gemacht".

Russland lasse weder die Unschuldsvermutung für den US-Reporter gelten noch
seien Beweise vorgelegt worden. "Diese falsche Anschuldigung der Spionage wird
unweigerlich zur falschen Verurteilung eines unschuldigen Mannes führen",
schrieb Tucker weiter. Gershkovich habe gute Arbeit geleistet. Nun drohten ihm
dafür bis zu 20 Jahre Haft. Das "Wall Street Journal" werde Evans Geschichte so
lange erzählen, bis er sie irgendwann selbst erzählen könne.

US-Regierung: Anklage entbehrt jeglicher Grundlage

Auch die US-Regierung hatte mit deutlichen Worten auf die bisher nicht
bewiesenen Vorwürfe reagiert. "Die Anklage entbehrt jeglicher Grundlage", sagte
der Sprecher des US-Außenministeriums, Matthew Miller, in Washington.
"Journalismus ist kein Verbrechen. Die Vorwürfe gegen ihn sind falsch, und die
russische Regierung weiß, dass sie falsch sind. Er sollte sofort freigelassen
werden."

Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Rjabkow wies die
Vorwürfe als "kontraproduktive Versuche, den Prozess zu politisieren", zurück.
Wenn Washington tatsächlich am Schicksal Gershkovichs interessiert sei, sollte
die US-Administration weniger lautstark kritisieren und stattdessen "ernsthaft
auf die Signale achten, die sie in Washington über entsprechende Kanäle bekommen
haben."

Der Kreml wollte weder den Prozess noch angeblich laufende Verhandlungen zu
einem Gefangenenaustausch um Gershkovich kommentieren. Solche Themen könnten nur
in aller Stille gelöst werden, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow am Mittwoch.
Die Inhaftierung von US-Bürgern in Russland zieht oft komplizierte Verhandlungen
zwischen Moskau und Washington über eine Freilassung oder einen Austausch nach
sich. Trotz der gespannten russisch-amerikanischen Beziehungen gab es in der
Vergangenheit immer wieder Gefangenenaustausche./bal/DP/tih

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