16.05.2024 22:16:49 - dpa-AFX: WDH/ROUNDUP 3/Gericht: Ampel muss Maßnahmen zu Klimaschutz nachschärfen

(Buchstabe im letzten Absatz entfernt, im ersten Satz muss es heißen "Das
nun ergangene Urteil")

BERLIN (dpa-AFX) - Es ist eine weitere juristische Klatsche für die
Ampel-Koalition: Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat am Donnerstag
entschieden, dass die Bundesregierung ihr Klimaschutzprogramm nachschärfen muss.
Die bisher aufgelisteten Maßnahmen reichten nicht aus, um die Klimaziele zu
erreichen, urteilten die Richter und gaben damit zwei Klagen der Deutschen
Umwelthilfe statt (Aktenzeichen OVG 11 A 22/21 und OVG 11 A 31/22).

In seiner bisherigen Form erfülle das im vergangenen Oktober beschlossene
Programm nicht vollständig die gesetzlichen Vorgaben, sagte die Vorsitzende
Richterin Ariane Holle in ihrer Urteilsbegründung. Schon jetzt sei absehbar,
dass von 2024 bis 2030 viele Sektoren die zulässigen Mengen an ausgestoßenen
Treibhausgasen überschreiten - voraussichtlich mit Ausnahme der Landwirtschaft.

"Die Bundesregierung muss darauf achten, dass alle Maßnahmen des
Klimaschutzprogramms prognostisch geeignet sind, die Klimaschutzziele (?) zu
erreichen und dabei die jährlichen Emissionsmengen einzuhalten", so Holle. Das
müsse "methodisch einwandfrei" und gut begründet sein und dürfe nicht auf
falschen Prognosen beruhen. Denn die im Klimaschutzgesetz festgelegten
Klimaziele seien verbindlich.

Mit den bisher vorgelegten Maßnahmen der Bundesregierung klaffe bis 2030
eine Gesamtlücke von circa 200 Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid-Äquivalenten.
Das sei die Menge an Treibhausgasen, die Deutschland bis dahin zusätzlich
einsparen müsste, um die Klimaziele erreichen zu können.

Basis für die am Donnerstag verhandelten DUH-Klagen waren die Vorgaben des
Klimaschutzgesetzes für verschiedene Sektoren zur Minderung des Ausstoßes an
Treibhausgasen für die Jahre 2024 bis 2030. Im Klimaschutzgesetz ist das Ziel
verankert, die Emissionen in ihrer Gesamtheit bis 2030 um mindestens 65 Prozent
im Vergleich zum Jahr 1990 zu senken. Bis 2023 hatte Deutschland rund 46 Prozent
Minderung erreicht.

Das Urteil könnte weitreichende Folgen für die Politik der Ampel-Regierung
haben - sofern es umgesetzt werden muss. Denn die Bundesregierung kann noch in
Revision gehen. Dann wäre das Bundesverwaltungsgericht erneut am Zug.

Die Deutsche Umwelthilfe feierte am Abend ihren Triumph. "Dieses Urteil ist
eine verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung",
sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Die Bundesregierung müsse nun
rasch handeln und kurzfristig nachbessern. Eine wesentliche Forderung seines
Vereins ist ein Tempolimit auf Autobahnen. Auch klimaschädliche Subventionen wie
etwa steuerliche Vorteile für Dienstwagenbesitzer sollten aus Sicht der
Umwelthilfe abgeschafft werden.

Die Organisation war zuletzt schon einmal juristisch gegen die Klimapolitik
der Bundesregierung vorgegangen und hatte im November 2023 einen Sieg errungen.
Damals hatte das OVG Berlin-Brandenburg geurteilt, dass die Regierung ein
Klima-Sofortprogramm in den Sektoren Verkehr und Gebäude auflegen muss. Dagegen
läuft die Revision beim Bundesverwaltungsgericht. Beide Sektoren gelten seit
Längerem als Sorgenkinder. Nach den jüngst vorgestellten Zahlen des
Umweltbundesamtes wurden hier im Jahr 2023 die Ziele zur Reduktion von
Treibhausgasen erneut verfehlt. Besonders deutlich scheitert der Verkehrssektor
bislang daran, seinen Beitrag zu leisten.

Das beklagte Klimaschutzprogramm gilt als eine Art Gesamtplan der
Bundesregierung, um diese Ziele zu erreichen. Es listet zahlreiche Maßnahmen in
den Sektoren Verkehr, Energie, Gebäude, Industrie und Landwirtschaft auf.

Dazu gehören konkrete, teils schon umgesetzte Maßnahmen wie die Neufassung
des Gebäudeenergiegesetzes, das 49-Euro-Deutschland-Ticket oder die
CO2-abhängige Lkw-Maut. Es finden sich aber auch allgemeinere Vorhaben, etwa die
Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) oder eine beschleunigte
Ausweisung von Flächen für den Ausbau erneuerbarer Energien.

In der gut fünfstündigen mündlichen Verhandlung erklärte ein Anwalt der DUH, vieles auf der Liste sei zu vage formuliert. Es sei nicht klar, welche konkreten
Auswirkungen dies auf die Reduktion der Treibhausgase habe. Prozessvertreter der
Bundesregierung argumentierten dagegen, es handele sich beim Klimaschutzprogramm
eher um ein politisches Programm als um einen konkreten Plan.

Das aktuelle Klimaschutzgesetz schreibt für jeden Sektor jährliche Ziele zur Senkung der schädlichen Treibhausgase vor. Werden diese in einzelnen Sektoren in
einem Jahr verfehlt, wie im Verkehr- und Gebäudesektor geschehen, muss das
jeweils zuständige Ministerium mit einem Sofortprogramm gegensteuern.

Diese Systematik dürfte sich allerdings bald ändern. Ende April beschloss
der Bundestag eine umstrittene Reform des Klimaschutzgesetzes, vor allem auf
Betreiben des Koalitionspartners FDP. Die Einhaltung der Klimaziele soll demnach
nicht mehr rückwirkend nach Sektoren kontrolliert werden, sondern in die Zukunft
gerichtet, mehrjährig und sektorübergreifend. Klimaschützer sehen darin eine
Aufweichung der Ziele - da einzelne Sektoren dadurch nicht mehr so wie bisher in
die Pflicht genommen würden.

Entscheidend ist der Neuerung zufolge, dass die Klimaziele insgesamt
erreicht werden. Das neue Gesetz ist noch nicht in Kraft, am Freitag berät der
Bundesrat darüber.

Das nun ergangene Urteil könnte den Ausgang der dortigen Beratungen
beeinflussen. Der Bundesrat hätte die Möglichkeit, das Gesetz nicht zu billigen
und stattdessen den Vermittlungsausschuss anzurufen. Klar ist: Innerhalb der
Bundesregierung dürfte das Urteil auch so schon für sehr viel Unruhe
sorgen./kr/DP/he

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH