23.05.2024 17:51:06 - dpa-AFX: POLITIK: UN stimmt trotz Widerstand für Gedenktag für Völkermord von Srebrenica

NEW YORK (dpa-AFX) - Am 11. Juli wird künftig weltweit dem Völkermord von
Srebrenica 1995 gedacht. Die Vollversammlung der Vereinten Nationen stimmte am
Donnerstag in New York trotz einer Reihe von Gegenstimmen und Enthaltungen für
einen entsprechenden Resolutionsentwurf zu einem "Tag der Reflexion und des
Gedenkens". Der maßgeblich von Deutschland und Ruanda ausgearbeitete Text soll
helfen, an den Genozid an über 8000 bosnischen Muslimen zu erinnern. "Bei
unserer Initiative geht es darum, das Andenken der Opfer zu ehren und die
Überlebenden zu unterstützen, die weiterhin mit den Narben dieser
schicksalhaften Zeit leben müssen", sagte die deutsche UN-Botschafterin Antje
Leendertse.

Die Resolution verurteilt "vorbehaltlos jede Leugnung des Völkermords von
Srebrenica als historisches Ereignis" und Handlungen, die jene verherrlichen,
"die von internationalen Gerichten wegen Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die
Menschlichkeit und Völkermord verurteilt wurden". Der Tag soll erstmals 2025
offiziell begangen werden. 84 UN-Mitglieder stimmten für den Text, darunter fast
alle Balkan-Staaten. Das Ergebnis blieb dabei unter den Erwartungen.

Bei dem Votum gab es - ungewöhnlicherweise für eigentlich einstimmige
Beschlüsse von Gedenktagen - 19 Gegenstimmen. Neben Serbien, China und Russland
stimmte auch Ungarn gegen den Text. 68 Länder enthielten sich. Sie serbische
Regierung hatte sich unzufrieden über den Text gezeigt und argumentiert, die
Resolution würde die Region spalten und eine Hierarchie unter den Opfern des
Krieges herstellen.

Präsident Aleksandar Vucic ergriff vor der Abstimmung das Mikrofon: "Es ist
schwer, nach Deutschland zu sprechen, das für das mächtigste Land Europas steht
und sich unmissverständlich dazu berechtigt fühlt, allen, die anderer Meinung
sind, moralische Lehren zu erteilen." Er warf Berlin vor, die Arbeit an der
Resolution "geheim gehalten" zu haben. Der Beschluss reiße Wunden auf und werde
für Chaos auf dem Balkan sorgen. "Warum haben diese Leute nicht angefangen, über
den Völkermord zu sprechen, den ihr Land beging?", fragte Vucic mit Verweis auf
den Holocaust.

Botschafterin Leendertse richtete sich in ihrer Rede dagegen gegen "falsche
Behauptungen": "Diese Resolution richtet sich gegen niemanden - nicht gegen
Serbien, ein geschätztes Mitglied dieser Organisation. Wenn überhaupt, richtet
es sich gegen Täter eines Völkermords."

Dem Massaker von Srebrenica im Zuge des Bosnien-Kriegs fielen am 11. Juli
und den darauffolgenden Tagen 8000 bosnische Muslime zum Opfer, in der Mehrzahl
Männer und männliche Jugendliche. Frauen, Mädchen und Kinder wurden in Bussen an
die Frontlinie zu dem von der bosnischen Armee kontrollierten Gebiet deportiert.
Urteile des Kriegsverbrechertribunals für das ehemalige Jugoslawien (ICTY) sowie
des Internationalen Gerichtshofs (IGH) haben den Genozid-Charakter des Massakers
von Srebrenica juristisch festgestellt.

Der damalige politische Führer der bosnischen Serben, Radovan Karadzic, und
der Kommandant der sogenannten Bosnisch-Serbischen Armee (BSA), Ratko Mladic,
wurden vom ICTY zu lebenslangen Gefängnisstrafen verurteilt. Im Serbien unter
Präsident Vucic und im serbischen Landesteil Bosniens, der Republika Srpska,
unter dessen Präsidenten Milorad Dodik, ist die Leugnung des Genozids von
Srebrenica und die Heroisierung der Täter gewissermaßen Staatspolitik. Vucic
argumentiert, die UN-Resolution würde das "serbische Volk" kollektiv verurteilen
- diese erwähnt Serbien allerdings nicht einmal namentlich./scb/DP/he

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