30.06.2024 14:02:06 - dpa-AFX: POLITIK/Präsidentenwahl im Iran: Duell zwischen Reformer und Hardliner

TEHERAN (dpa-AFX) - Nach einer historisch schlechten Wahlbeteiligung im Iran
gehen der moderate Präsidentschaftskandidat Massud Peseschkian und der Hardliner
Said Dschalili in eine Stichwahl. Vor der Abstimmung am kommenden Freitag
beginnt zunächst eine kurze Wahlkampfphase mit zwei TV-Duellen am Montag und
Dienstag. Der unterlegene Parlamentspräsident Mohammed Bagher Ghalibaf,
ebenfalls ein Konservativer, sprach Dschalili bereits seine Unterstützung zu.

Rund 61 Millionen Wählerinnen und Wähler waren am Freitag aufgerufen, einen
neuen Regierungschef zu wählen. Von insgesamt 80 Bewerbern hatte der sogenannte
Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, nur sechs als Kandidaten
zugelassen. Zwei von ihnen zogen sich zurück. Die Wahlbehörde zählte insgesamt
knapp mehr als 24 Millionen abgegebene Stimmen. Damit liegt die Wahlbeteiligung
bei historisch schlechten 40 Prozent.

Der frühere Gesundheitsminister Peseschkian kam laut der Wahlbehörde auf
rund 42,5 Prozent der Stimmen. Dschalili sicherte sich 38,7 Prozent. Irans
Parlamentspräsident Ghalibaf erhielt 13,8 Prozent, der Geistliche Mostafa
Purmohammadi weniger als ein Prozent.

Reformkandidat setzt auf bürgerliche Positionen

Peseschkian ist 69 Jahre alt und stammt aus dem Nordwesten. Im Wahlkampf
warb der bisher eher unscheinbare Politiker für neues Vertrauen zwischen
Regierung und Volk, das nach gescheiterten Reformversuchen, politischer
Repression und einer Wirtschaftskrise von der Politik maßlos enttäuscht ist.
Peseschkian wurde als einziger gemäßigter Politiker zugelassen. Wie viele
Politiker des Reformlagers forderte er eine Verbesserung der Beziehungen zum
Westen.

Im Wahlkampf kritisierte der Politiker die Kopftuchpolitik und warb mit
bürgerlichen Positionen für Stimmen. Gleichzeitig bekundete Peseschkian seine
Loyalität für Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei, die mächtigen
Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel. In
den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der
Reformen für notwendig hält.

Systemtreuer Kandidat Dschalili nur auf dem zweiten Platz

Der zweitplatzierte Dschalili gehörte früh zum engsten Machtzirkel und
arbeitete im Büro des Religionsführers Chamenei. Unter dem umstrittenen früheren
Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad war Dschalili Chefunterhändler bei den
Atomverhandlungen. Er genießt breite Unterstützung von radikalen und loyalen
Systemanhängern.

Der promovierte Politikwissenschaftler kommt aus der nordöstlichen
Millionenmetropole und Pilgerstadt Maschhad. Im Iran-Irak-Krieg (1980-88) wurde
der erzkonservative Mann an der Front verwundet und verlor einen Teil seines
rechten Beins. Nach dem Krieg lehrte er in der Hauptstadt Teheran, bevor er eine
Karriere im Außenministerium begann. Dschalili gilt als eiserner Verfechter der
Ideologie der Islamischen Revolution im Iran.

Moderate Regierung hätte nur begrenzten Spielraum

Ein moderater Präsident hätte begrenzte Möglichkeiten, in der Regierung zu
gestalten, sagt der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marburger
Universität. "Mit einem von Hardlinern dominierten Parlament, mit einem Obersten
Religionsführer, der immer wieder signalisiert hat, dass eine zu moderate
Politik eigentlich gar nicht erwünscht ist - da würde ich keinen großen
Handlungsspielraum erwarten", erklärt der Iran-Experte. "Das beeinflusst
natürlich auch den ansonsten geringen Enthusiasmus für diese Wahl." Denn: Ein
moderater Präsident dürfte seine Wahlversprechen kaum einhalten können.

Seit Jahren sei der Enthusiasmus für Wahlen gedrückt, sagt der Experte
weiter. Er führt vor allem die verheerende Bilanz der vergangenen Regierungen,
die Proteste und deren gewaltsame Unterdrückung sowie die politischen
Repressionen gegen die Kopftuchverstöße an. "Das alles wird die Stimmung eher
drücken, sowohl was politische als auch soziale Rechte angeht", sagt Sydiq. Die
Erwartungen an eine Verbesserung der politischen und wirtschaftlichen Lage durch
die Wahl dürften gering sein. Die Stimmung sei vor allem von "Ernüchterung und
Hoffnungslosigkeit" geprägt.

Bekannter Sänger meldet sich zu Wort

Gut 60 Prozent der Wahlberechtigten blieben der Abstimmung fern. Auch der
prominente Sänger Scherwin Hadschipur, der für seine Protesthymne "Baraye" mit
einem Grammy ausgezeichnet worden war, wies in den sozialen Medien darauf hin.
"Vor allem müssen wir die Stimme derjenigen hören, die nicht zur Wahl gegangen
sind", schrieb er. Im März war der Sänger für seinen Song, der während der
Aufstände im Herbst 2022 veröffentlicht wurde, nach eigenen Angaben zu drei
Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden./arb/DP/nas

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