13.05.2024 11:44:15 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP 2/Urteil: Verfassungsschutz darf AfD weiter als Verdachtsfall

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MÜNSTER (dpa-AFX) - Die Einstufung der AfD als rechtsextremistischer
Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) ist nach einem
Urteil des nordrhein-westfälischen Oberverwaltungsgerichts rechtens. Damit darf
der Verfassungsschutz auch weiterhin nachrichtendienstliche Mittel zur
Beobachtung der Partei einsetzen. Das Gericht bestätigte am Montag in Münster
ein Urteil aus der Vorinstanz. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Zwar
ließ das OVG keine Revision zu, die AfD kündigte aber an, dagegen Beschwerde
beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig einzulegen.

Es gebe "hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte" für Bestrebungen der AfD,
"die gegen die Menschenwürde bestimmter Personengruppen sowie gegen das
Demokratieprinzip gerichtet sind", sagte Gerald Buck, Vorsitzender Richter des
5. Senats. In der AfD würden "in großem Umfang herabwürdigende Begriffe
gegenüber Flüchtlingen und Muslimen verwendet". Eine solche Abwertung sei laut
Grundgesetz eine "unzulässige Diskriminierung". Deshalb sei am Vorgehen der
Verfassungsschützer nichts auszusetzen.

"Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger"

Die Befugnisse des Verfassungsschutzes bei der Beobachtung der AfD seien
zwar "keineswegs grenzenlos", betonte Buck. Vor allem bei der Beobachtung einer
besonders geschützten politischen Partei müsse der "hinreichend verdichtete
Umstände" vorlegen können, dass eine Gruppierung möglicherweise gegen die
freiheitliche Grundordnung arbeite.

"Die wehrhafte Demokratie ist kein zahnloser Tiger. Sie soll aufmerksam und
durchsetzungsstark sein", betonte der Vorsitzende. "Aber sie beißt nur im
nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren." Bei der
Einstufung der AfD als extremistischer Verdachtsfall habe das Bundesamt seine
Einschätzung aber ausreichend belegen können, befanden die Richter. Deshalb habe
die Behörde auch die Öffentlichkeit über ihre Einschätzung zur AfD informieren
dürfen.

AfD-Vertreter äußern Kritik am Gericht

AfD-Vizesprecher Peter Boehringer und Roman Reusch aus dem Bundesvorstand
äußerten nach dem Urteil Kritik am OVG. Der 5. Senat habe zu wenig getan, um die
Punkte des Verfassungsschutzes aufzuklären. Das Bundesamt sei damit nur
durchgekommen, weil "sich das Gericht der Beweisaufnahme verweigert hat", sagte
Reusch.

Der BfV-Präsident Thomas Haldenwang sagte nach der Urteilsverkündung: "In
der wehrhaften Demokratie kommt dem Verfassungsschutz eine wichtige
Frühwarnfunktion bezüglich der Entwicklung von Bestrebungen gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung zu. Dieser Aufgabe werden wir auch
künftig weiter nachkommen."

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) begrüßte die Entscheidung der
Richter. "Das heutige Urteil zeigt, dass wir eine wehrhafte Demokratie sind."
Der deutsche Rechtsstaat habe Instrumente, um die Demokratie vor Bedrohungen von
innen zu schützen. "Genau diese Instrumente werden auch eingesetzt ? und sind
jetzt erneut von einem unabhängigen Gericht bestätigt worden."

Die AfD gehöre zweifelsohne zu den "Feinden unserer liberalen Demokratie",
sagte der Fraktionsvize der Grünen im Bundestag, Konstantin von Notz, dem
Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Dass sie beobachtet werden kann, ist
insofern nur konsequent und Ausdruck der Wehrhaftigkeit unseres Rechtsstaats."

Auschwitz Komitee: Reise mit der AfD endet in Verschwörungswelt

Der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner, sprach von einem wichtigen Signal. "Die Richter haben der AfD erneut einen
Spiegel vorgehalten und der Öffentlichkeit noch einmal deutlich gemacht, in
welch rechtsextremer Ausgrenzungs-, Verrohungs- und Verschwörungswelt die Reise
mit der AfD enden wird", sagte er. Die Linke bekräftigte ihre Forderung nach
einem Parteiverbot der AfD. "Ein solcher Antrag ist die Selbstverteidigung der
Demokratie gegen ihre Feinde", sagte die Innenpolitikerin Martina Renner dem
Nachrichtenportal T-Online.

Richter bestätigten auch Beobachtung von Junger Alternative und "Flügel"

Bei dem mittlerweile aufgelösten AfD-"Flügel" hatten die Richter auch gegen
die Hochstufung zur "erwiesen extremistischen Bestrebung" durch den
Verfassungsschutz keine Einwände. Die Einschätzung, der Flügel richte sich gegen
den Schutz der Menschenwürde von Deutschen mit Migrationshintergrund sowie
Menschen islamischen Glaubens, sei gerechtfertigt, entschied der Senat.

Bei der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) ging es in dem Prozess zunächst nur um die frühere Einstufung als Verdachtsfall - dagegen hatten die
Richter keine Einwände. Inzwischen hat der Verfassungsschutz die Junge
Alternative aber ebenfalls zur erwiesen extremistischen Bestrebung hochgestuft -
wogegen AfD und JA sich in einem noch laufenden Eilverfahren wehren.

AfD-Beobachtung durch Observationen und V-Leute möglich

Nach dem Urteil darf der Verfassungsschutz die Partei weiterhin mit
nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Dazu zählen unter anderem die
Observation und das Einholen von Auskünften über Informanten (V-Leute) aus der
jeweiligen Szene. Ob und in welchem Umfang das Bundesamt von diesen
Möglichkeiten bereits Gebrauch gemacht, ließ die Bundesregierung in einer
Antwort auf eine entsprechende parlamentarische Anfrage der
AfD-Bundestagsfraktion offen. Das Stufenmodell des BfV sieht zuerst den Prüf-,
dann den Verdachtsfall und dann die Feststellung vor, dass das zu beobachtende
Objekt eine gesichert extremistische Bestrebung ist. Die AfD-Landesverbände
Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt werden von den dortigen Landesämtern für
Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft./lic/DP/men

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