16.05.2024 06:35:00 - dpa-AFX: ROUNDUP: Experten warnen Israel vor 'ewigem Krieg' in Gaza - Nacht im Überblick

GAZA/TEL AVIV (dpa-AFX) - Israel ist nach Einschätzung von Experten im
Gaza-Krieg noch weit von einem Sieg über die islamistische Hamas entfernt. "Die
Hamas ist überall im Gazastreifen präsent", sagte Joost Hiltermann von der
Denkfabrik International Crisis Group dem "Wall Street Journal". "Die Hamas ist
noch lange nicht besiegt." Die Terrororganisation sei zu einer Guerillataktik
übergegangen, was in Israel die Befürchtung schüre, in einen "ewigen Krieg" zu
geraten, berichtete die Zeitung in der Nacht zum Donnerstag. Israels
Verteidigungsminister Joav Galant hatte am Vorabend gewarnt, das Fehlen einer
Alternative zur Hamas-Herrschaft in Gaza drohe Israels militärische Erfolge zu
untergraben. Die USA teilten Galants Besorgnis, dass Israel dafür keine Pläne
habe, sagte ein ranghoher US-Beamter der "Times of Israel". Dadurch sei die
Terrororganisation in der Lage, sich in von der Armee geräumten Gebieten neu
aufzustellen und die Kontrolle wiederzuerlangen. Das sei "besorgniserregend",
hieß es.

Berichte über Luftangriffe im Nordosten des Libanons

Unterdessen berichteten libanesische Medien in der Nacht zum Donnerstag von
schweren israelischen Luftangriffen im Raum Baalbek im Nordosten des Libanons.
Von israelischer Seite gab es zunächst keine Bestätigung dafür. Die
Hisbollah-Miliz im Libanon hatte kurz zuvor nach Angaben des israelischen
Militärs rund 60 Geschosse auf den Norden Israels abgefeuert. Die Miliz selbst
teilte mit, Dutzende Raketen auf das Hauptquartier der Luftüberwachungseinheit
bei Meron abgefeuert zu haben. Der Angriff sei eine Reaktion auf das "Attentat
des israelischen Feindes" vom Dienstagabend gewesen.

Israels Armee hatte nach eigenen Angaben bei einem Luftangriff im Südlibanon einen ranghohen Hisbollah-Kommandeur getötet. Baalbek liegt etwa 100 Kilometer
von der israelisch-libanesischen Grenze entfernt und gilt als Hochburg der
Hisbollah. Seit Beginn des Krieges im Gazastreifen kommt es täglich zu
militärischen Konfrontationen zwischen Israels Armee und der Hisbollah-Miliz
sowie anderen Gruppierungen im Grenzgebiet zwischen Israel und dem Libanon.

USA: Führen mit Israel schwierige Gespräche

Die US-Regierung bekräftigte unterdessen angesichts von Berichten über eine
neue Waffenlieferung an Israel in Milliardenhöhe ihre Unterstützung für das
Land. Trotzdem könne man Bedenken mit Verbündeten teilen, sagte die Sprecherin
des Weißen Hauses, Karine Jean-Pierre, am Mittwoch mit Blick auf Israels
umstrittenes Vorgehen in der Stadt Rafah im Süden des Gazastreifens. "Und wir
haben sehr deutlich gemacht, dass wir sicherstellen wollen, dass (Israel) in der
Lage ist, sich zu verteidigen." US-Präsident Joe Biden hatte Israel gedroht,
dass eine größere Bodenoffensive in der mit Binnenflüchtlingen überfüllten Stadt
Konsequenzen für US-Waffenlieferungen haben könnte. Jean-Pierre machte deutlich,
dass die USA davon ausgingen, dass es sich bisher um einen begrenzten Einsatz
des israelischen Militärs in Rafah handele - nicht um eine große Bodenoffensive.

Experte: Gibt kein Machtvakuum in Gaza

Unabhängig davon, ob Israel Rafah in vollem Umfang angreife oder nicht,
werde die Hamas nach Auffassung aktiver und ehemaliger israelischer Militärs
sowie nach Einschätzung der US-Geheimdienste wahrscheinlich überleben und in
anderen Gebieten des abgeriegelten Küstenstreifens weiter bestehen, schrieb das
"Wall Street Journal". Die Hamas wende eine sogenannte "Hit and Run"-Taktik an,
bei der kleinere Gruppen von Kämpfern aus dem Hinterhalt zuschlagen und dann
schnell wieder in unterirdischen Tunneln verschwinden würden, zitierte die
Zeitung Sicherheitsanalysten.

Israels Offensive im Gazastreifen erziele zwar bereits Ergebnisse, die Hamas sei militärisch schon sehr dezimiert, sagte Verteidigungsminister Galant.
"Solange die Hamas aber die Kontrolle über das zivile Leben in Gaza bewahrt,
kann sie sich wieder neu aufbauen und erstarken, so dass die israelische Armee
zurückkommen und kämpfen muss, in Gebieten, in denen sie bereits im Einsatz
gewesen war." Es gebe im Gazastreifen kein Machtvakuum, sagte Michael Milshtein,
ein ehemaliger Leiter der Palästinenserabteilung des israelischen
Militärgeheimdienstes, dem "Wall Street Journal". Jeder Ort, den Israels Armee
räume, werde von der Hamas besetzt. "Im Moment gibt es keine Alternative zur
Hamas", sagte Milshtein.

Israels Verteidigungsminister fordert Alternative zur Hamas-Herrschaft

Galant hatte am Mittwoch die Unentschlossenheit Israels in der Frage
kritisiert, wer nach dem Krieg in Gaza herrschen soll. Palästinensische
Vertreter müssten - begleitet von internationalen Akteuren - die Kontrolle
übernehmen und so eine Regierungsalternative zur Hamas-Herrschaft schaffen,
forderte der Verteidigungsminister. Sonst blieben nur zwei negative Optionen:
eine Fortsetzung der Hamas-Herrschaft oder eine israelische Militärherrschaft.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte dagegen zuvor erklärt, es sei
sinnlos, vor einem Sieg über die Hamas über die künftige Verwaltung des
Küstenstreifens zu sprechen. Bis klar sei, dass die Hamas nicht mehr militärisch
in Gaza herrscht, werde kein anderer Vertreter bereit sein, die Zivilverwaltung
in Gaza zu übernehmen - "aus Angst um seine Sicherheit".

Was am Donnerstag wichtig wird

Im Zusammenhang mit Israels Militäroffensive in Rafah befasst sich der
Internationale Gerichtshof in Den Haag erneut mit einem Eilantrag gegen Israel.
Südafrika fordert den sofortigen Rückzug israelischer Truppen aus Rafah, um
einen Völkermord an der palästinensischen Zivilbevölkerung zu verhindern. Die
Lage habe sich durch die Angriffe Israels extrem verschlechtert und das
Überleben der Menschen sei bedroht. Das höchste Gericht der Vereinten Nationen
setzte zwei Tage für die Anhörung an. Am Donnerstag hat Südafrika das Wort,
Israel wird am Freitag reagieren.

Bisher weist Israel alle Vorwürfe entschieden zurück. Der jüdische Staat
beruft sich auf sein Recht auf Selbstverteidigung, nachdem Terroristen der Hamas
und anderer extremistischer Gruppen am 7. Oktober vergangenen Jahres den Süden
Israels überfallen und 1200 Menschen getötet hatten./ln/DP/zb

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