10.07.2024 06:30:03 - dpa-AFX: ROUNDUP/'Europa ist zurück': Ariane 6 fliegt erfolgreich ins All

KOUROU (dpa-AFX) - Die Spitzen der europäischen Raumfahrt feiern es als
einen "unglaublichen Erfolg": Erstmals ist die europäische Rakete Ariane 6 in
den Weltraum gestartet und holt Europas Raumfahrt damit aus der Krise ihres
Trägerraketensektors. Die Rakete startete am Dienstag gegen 21.00 Uhr deutscher
Zeit am europäischen Weltraumbahnhof in Kourou in Französisch-Guayana unter den
gebannten Blicken zahlreicher Beteiligter und Raumfahrtbegeisterter.

Gut eine Stunde später verkündete die Esa dann den Erfolg des Flugs, nachdem die Rakete mehrere Satelliten ausgeliefert hatte. "Wir schreiben heute
Geschichte", sagte Esa-Chef Josef Aschbacher unter Applaus in Kourou. "Heute ist
ein großer Tag, zum Feiern." Er sei persönlich erleichtert.

Der gesamte Flug der 56 Meter hohen und 540 Tonnen schweren Rakete war auf
knapp drei Stunden angesetzt. Bereits kurz nach dem Abheben, als die Ablösung
der Booster verkündet wurde, brach auf den Terrassen am europäischen
Weltraumbahnhof Jubel und Applaus aus. Bei jedem weiteren Meilenstein, den die
Rakete erfolgreich absolvierte, erfüllten Freude und Erleichterung den
Weltraumbahnhof.

Mit der Ariane 6 raus aus der Krise

Schon seit Monaten hat Europas Raumfahrt auf den Jungfernflug seiner neuen
Rakete hingefiebert. Denn für den Kontinent steht viel auf dem Spiel. Die
Hoffnungsträgerin Ariane 6 soll wieder einen eigenen Zugang zum All herstellen
und so die Unabhängigkeit sichern.

Seitdem vor ziemlich genau einem Jahr die letzte Ariane 5, die Vorgängerin
der Ariane 6, in den Weltraum gestartet ist, hatte die europäische Raumfahrt
keine eigenen Transporter mehr, um größere Satelliten in den Weltraum zu
bringen. Die Esa gestand eine ernsthafte Krise des europäischen
Trägerraketensektors ein, Aschbacher sprach von einem riesigen Problem.

Denn Ärger gab es auch bei den kleineren Satelliten. Nach einem
erfolgreichen Erststart missglückte der erste kommerzielle Flug der Vega C Ende
2022. Eine Rakete dieses Typs soll erst im November wieder fliegen. Teils wich
die Esa für Satellitenstarts auf Falcon-9-Raketen des US-Unternehmens SpaceX von
Elon Musk aus.

Gelungener Flug nur der Anfang

Mit dem Erstflug der Ariane 6 ist für Aschbacher klar: "Europa ist zurück."
Aus der Krise sei man raus. Er erklärte aber auch: "Dies ist nur der erste
Schritt, wir haben noch viel Arbeit vor uns." Bereits Ende des Jahres soll die
nächste Ariane 6 fliegen.

Die Vorstandsvorsitzende des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt
(DLR), Anke Kaysser-Pyzalla, lobte: "Es ist gelungen, hier wieder eine Rakete zu
erstellen, die man zukünftig in einer Art Raketenfabrik immer wieder bauen
kann." Laut Rolf Densing, Leiter des Esa-Kontrollzentrums in Darmstadt reichten
die Industriekapazitäten für bis zu elf Starts pro Jahr. Der Chef des
Raketenbetreibers Arianespace, Stéphane Israël, sagte, schon im kommenden Jahr
wolle man sechsmal eine Ariane 6 in den Weltraum schicken.

Unplanmäßiger Vorfall in Demophase

Ganz nach Plan verlief bei dem Jungfernflug aber nicht alles. Nach der
erfolgreichen Startphase folgte eine technische Demonstrationsphase. In dieser
zündete ein Hilfsantrieb in der Oberstufe zwar zunächst, stoppte dann aber, wie
der Chef des Raketenbauers ArianeGroup, Martin Sion, erklärte. Warum, wisse man
noch nicht.

Sion sagte zu dem Vorfall: "Das ist bedauerlich, aber das ist auch der
Grund, weshalb wir eine technische Demonstration vornehmen, weil es Dinge gibt,
die wir nicht am Boden testen können." Mit der Testphase am Ende des Erstflugs
habe man so viele Informationen wie möglich sammeln wollen. Man habe schauen
wollen, wie sich die Oberstufe der Rakete in sogenannter Mikrogravitation
verhält, einem Zustand, in dem die Gravitationskraft nicht oder extrem schwach
wirkt.

"Es muss nicht alles bis zum Letzten klappen"

Ein Problem sieht die Koordinatorin der Bundesregierung für Luft- und
Raumfahrt, Anna Christmann, in dem Vorfall ebenfalls nicht. "Ich finde, das
zeichnet ja solche Technologien wie Raumfahrt auch aus, dass man genau solche
Dinge auch ausprobieren muss", sagte Christmann. "Und man sieht, es muss nicht
immer alles bis zum Letzten klappen, aber daraus lernt man und daraus wird die
Ariane 6 in den nächsten Malen sicher noch besser werden." Insgesamt findet sie:
"Der Startablauf lief eigentlich wie geschmiert."

Oberstufe bleibt nach Vorfall im All

Vorgesehen war, dass die Rakete bei ihrem Jungfernflug 17 Nutzlasten ins All bringt. Nach gut sieben Minuten wurde die Oberstufe abgetrennt. Das
wiederzündbare Vinci-Triebwerk wurde zweifach gezündet. In drei Phasen setzte
die Rakete technische Passagiere in den Weltraum.

Am Ende sollte die Oberstufe auf dem Weg zurück zur Erde eigentlich
verglühen. Weil der Hilfsantrieb stoppte, zündete das Vinci-Triebwerk der
Oberstufe nicht erneut, um die zwei letzten Nutzlasten auszusenden. Sie werden
nun in der Oberstufe bleiben, die im All verbleibt.

Esa lobt Ariane 6 für ihre Flexibilität

Die Ariane 6 musste zehn Jahre lang auf ihren Erststart warten. Sie ist das
Nachfolgemodell der Ariane 5, die von 1996 bis Sommer 2023 im Einsatz war. Die
Rakete soll Satelliten für kommerzielle und öffentliche Auftraggeber ins All
befördern und ist deutlich günstiger als ihre Vorgängerin.

Je nach Mission kann die flexible und modulare Rakete mit zwei oder vier
Boostern ausgestattet werden und unterschiedliche Nutzlasten in einem kleineren
oder einem längeren Oberteil unterbringen. Bis zu 11,5 Tonnen Gesamtfracht kann
sie bei geostationären Satelliten transportieren und 21,6 Tonnen in niedrigeren
Umlaufbahnen.

Einer der zentralsten Fortschritte dürfte aber sein, dass die Ariane 6
Satelliten in unterschiedliche Orbits ausliefern kann. Somit kann sie auch
Konstellationen ins All bringen.

Möglich ist das Dank des wiederzündbaren Vinci-Triebwerks der im Bremer Werk des Raketenbauers ArianeGroup montierten Oberstufe. Laut Walther Pelzer,
Generaldirektor der Deutschen Raumfahrtagentur im DLR hat Deutschland damit die
wichtigste Innovation verantwortet.

Experte hält Rakete nicht für besonders modern

Wie modern die Rakete ist, daran scheiden sich die Geister. Esa-Chef
Aschbacher ist überzeugt, dass die Rakete den aktuellen Herausforderungen
entspricht. Raumfahrtexperte Martin Tajmar von der TU Dresden antwortet hingegen
auf die Frage, ob die Rakete auf der Höhe der Zeit sei: "Das kann man
vergessen."

Tajmars Blick geht dabei in die USA und zu SpaceX: "2015 ist das erste Mal
die Falcon-9-Rakete erfolgreich wieder gelandet und hat quasi das Zeitalter der
wiederverwendbaren Raumfahrt gegründet, wo natürlich alle anderen jetzt dann
komplett alt ausschauen."

Immerhin: Laut Esa-Raumtransportdirektor Toni Tolker-Nielsen soll die
Rakete, die die Ariane 6 ablöst, auch wiederverwendbar sein. Derzeit plant die
Esa, die Ariane 6 bis mindestens Mitte der 2030er Jahre zu nutzen. Tajmar meint,
dann sei man aber wieder 20 Jahre hinterher. Nur: Die langwierigen
Entscheidungsprozesse bei der Esa könne man auch nicht mit der Arbeitsweise von
SpaceX vergleichen.

Europas früherer Raumfahrtchef Jan Wörner meint zudem: "Ariane 6 schafft
zwar einen autonomen Zugang als Schwerlastrakete. Europa hat aber viel weniger
Starts als etwa in den USA. Deshalb ist eine mögliche Wiederverwendbarkeit der
Rakete nur bei einer totalen Veränderung der Industrie sinnvoll."

Deutschland wichtig für Entwicklung der Rakete

Gut ein Dutzend Länder waren am Bau der Ariane 6 beteiligt. Die Oberstufe
wurde in Bremen montiert, die Tanks der Oberstufe und Teile des Triebwerks
kommen aus Augsburg beziehungsweise Ottobrunn. Im baden-württembergischen
Lampoldshausen wurde das Vinci-Triebwerk getestet. Nach Frankreich ist
Deutschland unter den Esa-Ländern der wichtigste Geldgeber und hat etwa 20
Prozent der rund vier Milliarden Euro hohen Kosten der Rakete
geschultert./rbo/DP/zb

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