28.06.2024 09:30:08 - dpa-AFX: STICHWORT: Frankreichs Parlamentswahl verstehen

PARIS (dpa-AFX) - Nachdem Präsident Emmanuel Macron vor wenigen Wochen die
Nationalversammlung aufgelöst hat, wählen die wahlberechtigten Französinnen und
Franzosen am Sonntag ein neues Parlament. Im Gegensatz zur Bundestagswahl werden
dabei nur Direktmandate vergeben. Und es gibt eine zusätzliche Wahlrunde mit
Stichwahlen. Um Macrons Amt geht es bei der Wahl nicht. Dennoch ist sie für das
weitere Regieren entscheidend. So funktioniert Parlamentswahl im Nachbarland:

Welche Rolle hat die Nationalversammlung?

Die Nationalversammlung ist das zentrale Machtzentrum des französischen
Parlaments. Die 577 Abgeordneten werden für eine Dauer von fünf Jahren direkt
gewählt. Sie stimmen über Gesetze ab. Mit dem Senat gibt es auch noch eine
zweite Parlamentskammer, die allerdings eine weniger wichtige Rolle einnimmt und
zu einem anderen Zeitpunkt gewählt wird. Sind sich die Kammern nicht einig, kann
die Regierung der Nationalversammlung das letzte Wort lassen. Der Senat ist
konservativ geprägt. In der Nationalversammlung hatte zuletzt das Mitte-Bündnis
des Staatschefs Emmanuel Macron die meisten Sitze, aber keine absolute Mehrheit.

Wie wichtig ist eine Mehrheit für Macron?

Dass ein Regieren ohne absolute Mehrheit in der Nationalversammlung
schwierig ist, haben die letzten zwei Jahre gezeigt. Eine Mehrheit wäre für
Macron aber vor allem wichtig, da das Unterhaus die Regierung per
Misstrauensvotum stürzen kann. Sollte ein anderes Lager als das von Macron eine
absolute Mehrheit erhalten, wäre der Präsident faktisch gezwungen, einen
Regierungschef aus deren Reihen zu ernennen. Die Rechtsnationalen machen sich
bereits Hoffnung darauf, an die Regierung zu kommen. Auch wenn es bei der Wahl
nicht um Macrons Posten geht, wäre seine Position in einem solchen Szenario
deutlich geschwächt.

Wie läuft die Wahl ab?

Die Abgeordneten werden nach dem Mehrheitswahlrecht direkt vom Volk gewählt. Wer mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen in seinem Wahlkreis erhält,
bekommt den Parlamentssitz, sofern dies mindestens einem Viertel der
eingeschriebenen Wähler dort entspricht. Das schaffen nur die allerwenigsten.

Die Großzahl der Sitze wird in einer Stichwahl eine Woche später vergeben.
In diese Endrunde kommt, wer mindestens 12,5 Prozent der Stimmen der
eingeschriebenen Wählerinnen und Wähler bekommen hat. Weil die Wahlbeteiligung
bei der Parlamentswahl aber oft niedrig ist, ist auch das für viele Kandidaten
ein Hindernis. In jedem Fall kommen aber die beiden Erstplatzierten weiter. Es
gewinnt in der zweiten Runde dann die Person mit den meisten Stimmen.

Warum gibt es am Sonntagabend noch kein richtiges Ergebnis?

Die Wahl entscheidet sich zunächst auf Ebene der Stimmkreise. Ein nationales Ergebnis wie mit der Zweitstimme in Deutschland gibt es nicht. Dennoch rechnen
Institute die abgegebenen Direktstimmen auf die Parteien und Bündnisse
landesweit zusammen und kommen so auf Ergebnisse in Prozent. Weil in der ersten
Runde aber so gut wie keine Sitze vergeben werden und sich in der zweiten Runde
die Verhältnisse noch einmal ändern, ist es schwierig, von diesem Ergebnis schon
darauf zu schließen, welche Partei in welchem Wahlkreis einen Sitz gewinnen
wird.

Normalerweise folgt die Parlamentswahl auf die Präsidentschaftswahl. Es
beteiligen sich dann in der Regel mehr Anhänger des Gewinners als der Verlierer.
In der außergewöhnlichen Situation einer Neuwahl dürfte es noch schwieriger
sein, treffende Prognose für die Sitzverteilung zu erarbeiten.

Wie wirkt sich das Wahlsystem auf die Sitzverteilung aus?

Das Mehrheitswahlrecht macht es kleinen Parteien bei der Parlamentswahl
schwer. Denn deren Kandidaten schaffen es oft gar nicht erst in die zweite
Runde. Weil am Ende nur die Stimmen für den Gewinner im Wahlkreis über die
Sitzvergabe entscheiden, beklagen viele in Frankreich, dass das Parlament wenig
repräsentativ ist./rbo/DP/zb

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