12.05.2024 21:42:25 - dpa-AFX: WDH/POLITIK/ROUNDUP/Fast jeder Zweiter: Angriff auf Nato-Staat wahrscheinlich

(Im letzten Satz wurde ein Tippfehler entfernt.)

BERLIN (dpa-AFX) - Obwohl westliche Sicherheitsexperten einen russischen
Angriff auf das Nato-Gebiet in absehbarer Zeit für möglich halten, ist dies für
viele Deutsche nach wie vor ein eher unrealistisches Szenario. Das zeigt eine
aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen
Presse-Agentur.

Danach halten es 36 Prozent der Bundesbürger für wahrscheinlich oder eher
wahrscheinlich, dass das russische Militär bis zum Jahr 2030 einen Staat
angreifen wird, der dem Bündnis angehört. Mit 48 Prozent sind fast die Hälfte
der erwachsenen Deutschen der Meinung, ein solches Szenario sei unwahrscheinlich
oder eher unwahrscheinlich. 15 Prozent der Teilnehmer der repräsentativen
Umfrage wussten auf die Frage, wie wahrscheinlich ein russischer Angriff auf
einen Nato-Staat bis 2030 sei, keine Antwort. Unter den Befragten, die angaben,
bei der zurückliegenden Bundestagswahl die AfD gewählt zu haben, war der Anteil
derjenigen, die einen russischen Angriff auf das Nato-Gebiet für
unwahrscheinlich halten, deutlich größer als unter den Anhängern anderer
Parteien.

Die Nato setzt als Verteidigungsbündnis auf das Prinzip Abschreckung.
Artikel 5 des Nordatlantikvertrags regelt die Beistandsverpflichtung in der
Allianz und besagt, dass ein bewaffneter Angriff gegen einen oder mehrere
Alliierte als Angriff gegen alle angesehen wird.

Der Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, Christoph Heusgen, hatte im
Februar in einem Interview gesagt, Russlands Präsident, Wladimir Putin, wolle
ein Groß-Russland in den Grenzen der ehemaligen Sowjetunion wiederherstellen,
ein russisches Weltimperium, in dem er zarengleich herrsche. "Sollte Putin den
Krieg in der Ukraine nicht verlieren, müssen wir damit rechnen, dass er auch
nach der Republik Moldau oder den baltischen Staaten greift", sagte der frühere
außenpolitische Berater von Altkanzlerin Angela Merkel (CDU).

Finnland hatte nach Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine
im Februar 2022 gemeinsam mit Schweden die Aufnahme in die westliche
Militärallianz beantragt; mittlerweile sind beide Staaten Mitglieder.

Russland stellt mehr Waffen und Munition her

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte im Mai in einer Talkshow
gesagt, Russland produziere Waffen und Munition über den Bedarf für den
Angriffskrieg gegen die Ukraine hinaus. Er ergänzte: "Jetzt kann man naiv sein
und sagen, das macht er nur aus Vorsicht. Ich würde eher als skeptischer Mensch
sagen in dem Fall, das macht er, weil er im Zweifel irgendwas vorhat oder haben
könnte."

Dass Deutschland in diesem Jahrzehnt Ziel eines Angriffs des russischen
Militärs werden könnte, halten laut Umfrage 23 Prozent der erwachsenen Deutschen
für wahrscheinlich oder eher wahrscheinlich. 61 Prozent der Bundesbürger sind
gegenteiliger Meinung.

Kaum jemand ist zufrieden mit Zustand der Bundeswehr

Würde die Mehrheit an ein solches Szenario glauben, wären viele Deutsche
wohl sehr beunruhigt. Denn nur zwei Prozent der Teilnehmer der Umfrage sind
überzeugt, die Bundeswehr sei aktuell sehr gut für die Landesverteidigung
aufgestellt. Zwölf Prozent der Befragten sehen die Truppe "eher gut"
aufgestellt. Jeweils 39 Prozent der Deutschen sind überzeugt, die Bundeswehr sei
für diese Aufgabe sehr schlecht beziehungsweise eher schlecht vorbereitet.
Generell beurteilen die Älteren den Zustand der Bundeswehr etwas schlechter als
die Jüngeren.

Auch in Sachen Zivilschutz bleibt nach Ansicht einer großen Mehrheit noch
viel zu tun. 79 Prozent der Deutschen halten die Vorkehrungen von Bund und
Ländern für den Schutz und die Versorgung der Zivilbevölkerung im Kriegsfall für
nicht ausreichend. Lediglich jeder Zehnte glaubt, dass für einen derartigen Fall
ausreichende Vorkehrungen getroffen worden sind. Elf Prozent der Befragten
trauten sich in dieser Frage kein Urteil zu.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte Ende April gesagt, nicht nur
die Bundeswehr müsse sich angesichts der veränderten Bedrohungslage in Europa
umorientieren, sondern Deutschland müsse sich auch bei der zivilen Verteidigung
ganz neu aufstellen. "Wir werden weitere erhebliche Investitionen in gute
Warnsysteme, in moderne Hubschrauber und weitere Ausstattung vornehmen müssen",
sagte die Ministerin der Deutschen Presse-Agentur. Das Gleiche gelte für den
effektiven Schutz kritischer Infrastruktur und die Versorgung für Krisenfälle.
Ein Teil der Ausgaben liegt in der Verantwortung der Länder, da etwa die
Trinkwassernotversorgung nicht nur für den Zivilschutz benötigt wird, sondern
auch bei Krisen und Katastrophen, die keine militärische Ursache haben.

CDU-Politiker Frei wünscht sich Bewusstseinswandel in der Bevölkerung

"Leider kann heute niemand mit Gewissheit sagen, wie weit Putin seinen
imperialistischen Kriegskurs treiben wird", sagte der Parlamentarische
Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, am Sonntag der dpa. Zwar sei
das Vertrauen der Bürger in die Nato und ihre Fähigkeit zur Abschreckung zurecht
groß. Dennoch müsse die deutsche Verteidigungsfähigkeit weiter verbessert
werden. "Dazu gehört auch ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung", betonte
Frei. Der Zivilschutz gehe jeden etwas an. Deutschland müsse vor der neuen
Bedrohungslage nicht verzagen, "wir sollten selbstbewusst und zügig für alles
gewappnet sein"./abc/DP/he

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