12.07.2024 06:30:04 - dpa-AFX: ROUNDUP: Selenskyj sieht Ukraine auf Weg in die Nato - Kreml warnt

WASHINGTON/MOSKAU (dpa-AFX) - Die Ukraine sieht sich nach dem Nato-Gipfel in
Washington für ihren Kampf gegen den russischen Angriffskrieg gestärkt. Bis das
Land dem Militärbündnis beitrete, setze die Ukraine auf Sicherheitsabkommen mit
Nato-Staaten, teilte Präsident Wolodymyr Selenskyj in Washington nach dem Gipfel
sowie nach Gesprächen unter anderem mit US-Präsident Joe Biden mit. Die Ukraine
werde weiter Fortschritte machen bei der Entwicklung ihrer eigenen
Sicherheitsarchitektur.

Die Staats- und Regierungschefs der 32 Nato-Staaten sagten der Ukraine zum
Abschluss ihres Gipfeltreffens Unterstützung bis zum Sieg gegen Russland zu. Das
Bündnis sei entschlossen, die Ukraine beim Aufbau einer Streitmacht zu
unterstützen, die in der Lage sei, die russische Aggression zu beenden, heißt es
in einer nach einem Treffen mit Selenskyj veröffentlichten Erklärung. Der Kampf
der Ukraine für ihre Unabhängigkeit, Souveränität und territoriale Integrität
trage direkt zur euro-atlantischen Sicherheit bei. Die Unterstützung der Nato
werde so lange wie nötig erfolgen.

In der Erklärung werden noch einmal die Beschlüsse des Nato-Gipfels zur
Stärkung der Ukraine hervorgehoben. Mit ihnen versprechen die Bündnisstaaten,
innerhalb des nächsten Jahres erneut Militärhilfen im Wert von 40 Milliarden
Euro zu leisten. Auch wird der Ukraine zugesichert, dass sie auf ihrem Weg in
das Verteidigungsbündnis nicht mehr aufgehalten werden kann. Beides soll auch
dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zeigen, dass er nicht darauf setzen
sollte, dass die Nato bei der Unterstützung der Ukraine irgendwann einmal müde
wird.

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bezeichnete den Gipfel in seiner
Abschlusspressekonferenz als einen "Wendepunkt". Die Ukraine habe einen
schwierigen Winter und Frühling erlebt, weil Verzögerungen und Lücken bei
Waffen- und Munitionslieferungen Folgen auf dem Schlachtfeld gehabt hätte. "Wir
werden nicht zulassen, dass sich das wiederholt", sagte er.

Ukraine will Freigabe westlicher Waffen für Beschuss von Russland

Bei einer Pressekonferenz mit Stoltenberg forderte Selenskyj einmal mehr die Aufhebung aller Auflagen für den Einsatz westlicher Waffen gegen russisches
Staatsgebiet. "Wenn wir siegen und unser Land bewahren wollen, dann müssen all
diese Einschränkungen aufgehoben werden", betonte er. Es gehe dabei vor allem um
Militärstützpunkte im russischen Hinterland, von denen Raketenangriffe wie am
Montag auf die Hauptstadt Kiew ausgehen. "Wenn sie uns angegriffen und unsere
Kinder getötet haben, ist es verrückt zu fragen, warum wir diese Militärbasis
nicht angreifen dürfen", sagte Selenskyj.

Die Ukraine verteidigt sich mit massiver westlicher Unterstützung gegen die
russische Invasion. Mehrere Verbündete haben Kiew Raketen und Marschflugkörper
mit höheren Reichweiten geliefert, aber deren Einsatzgebiet auf an die Ukraine
grenzende russische Gebiete begrenzt.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) lehnte die Forderung Selenskyjs nach einer
Aufhebung aller Auflagen für den Einsatz westlicher Waffen gegen russisches
Territorium indes ab. "Niemand hat eine Veränderung der bisherigen Maßgaben und
Richtlinien vor - aus gutem Grund", sagte Scholz zum Abschluss des Nato-Gipfels
in Washington. "Es bleibt ja immer auch unsere Aufgabe sicherzustellen, dass wir
die Ukraine maximal unterstützen, aber eine Eskalation des Krieges zu einem
Krieg zwischen Russland und der Nato verhindern. Und das erfordert Weisheit,
Klarheit und Festigkeit."

USA stellen Ukraine weitere Militärhilfe zur Verfügung

Die USA stellen der Ukraine zur Abwehr des russischen Angriffskriegs
unterdessen weitere Militärhilfe zur Verfügung. Das neue Paket mit einem Umfang
von 225 Millionen US-Dollar (rund 207 Millionen Euro) enthalte unter anderem das
bereits von den USA angekündigte Patriot-Luftabwehrsystem, zudem
Flugabwehrraketen des Nasams-Systems, Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars sowie
Artilleriemunition mit den Kalibern 155 und 105 Millimeter, teilte die
US-Regierung mit. Die Waffen stammen den Angaben zufolge aus Beständen des
US-Militärs.

Kurz vor der Ankündigung hatten sich US-Präsident Biden und Selenskyj am
Rande des Nato-Gipfels zu einem Gespräch getroffen. Die USA und weitere
Nato-Staaten hatten der Ukraine bereits zum Beginn des Gipfels umfangreiche
Ausrüstung zur Abwehr russischer Luftangriffe versprochen. Seit dem Beginn des
russischen Angriffskriegs haben die USA nach Pentagon-Angaben militärische Hilfe
in Höhe von mehr als 53,7 Milliarden US-Dollar (rund 49,4 Milliarden Euro) für
Kiew bereitgestellt.

Bundesregierung: US-Waffen in Deutschland nötig

Kanzler, Vizekanzler und Verteidigungsminister der Ampel-Regierung sind sich einig: Die am Rande des Gipfels angekündigte Stationierung weitreichender
US-Waffen in Deutschland ist ein wirksamer Beitrag zur Abschreckung einer
russischen Aggression. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte beim
Nato-Gipfel in Washington dem ZDF-"heute journal": "Wir haben eine neue
Bedrohungslage. Wladimir Putin hat gezeigt, wozu er bereit und in der Lage ist."

Den ARD-"Tagesthemen" sagte der Minister, von einem neuen Wettrüsten könne
keine Rede sein. "Russland hat diese Waffensysteme schon seit längerem unter
anderem - wie wir vermuten - in Kaliningrad stationiert, das heißt in absoluter
Reichweite zu Deutschland und anderen europäischen Nationen."

Die USA wollen in Deutschland zum Schutz Europas aufrüsten. Bundeskanzler
Scholz und sein Vize Robert Habeck (Grüne) sehen darin eine Notwendigkeit. "Wir
wissen, dass es eine unglaubliche Aufrüstung in Russland gegeben hat, mit
Waffen, die europäisches Territorium bedrohen", sagte Scholz in Washington.
Habeck sagte, die russische Aufrüstung bedrohe "offensichtlich auch die
Nato-Ostflanke". "Russland ist also kein Friedenspartner im Moment", sagte er
der Zeitung "Neue Westfälische" (Freitagsausgabe).

Moskau ist etwa 1600 Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt. Von 2026 an
sollen Marschflugkörper vom Typ Tomahawk mit einer Reichweite von bis zu 2500
Kilometern, Flugabwehrraketen vom Typ SM-6 und neu entwickelte Überschallwaffen
für einen besseren Schutz der Nato-Verbündeten in Europa sorgen.

Kreml kritisiert Pläne für US-Waffen in Deutschland

Russland reagierte mit Warnungen und Drohungen auf die geplante
Stationierung von US-Waffen in Deutschland. "Wir sind auf dem besten Weg zu
einem Kalten Krieg. Das alles gab es schon einmal", sagte Kremlsprecher Dmitri
Peskow dem russischen Staatsfernsehen. Er warf Deutschland, den USA, Frankreich
und Großbritannien vor, direkt in den Konflikt um die Ukraine verwickelt zu
sein.

"Das alles wird mit dem Ziel unternommen, unser Land zu unterminieren. Das
wird alles getan, um unsere strategische Niederlage auf dem Schlachtfeld zu
garantieren", betonte Peskow. Russland müsse das alles in den Blick nehmen. "Das
ist kein Grund für Pessimismus. Im Gegenteil: Das ist Anlass, sich
zusammenzunehmen und unser ganzes reiches Potenzial zu nutzen, das wir haben, um
alle Ziele zu erfüllen, die wir uns im Zuge der speziellen Militäroperation
vorgenommen haben."

Gemeint ist der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, mit dem Moskau
unter anderem eine Nato-Mitgliedschaft Kiews verhindern will. Zuvor hatten auch
russische Diplomaten mit einer Gegenreaktion Russlands gedroht und vor einem
neuen Wettrüsten gewarnt./mau/DP/stk

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