21.05.2024 16:56:13 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Seegerichtshof sieht Klimaschutz als Meeresschutz

HAMBURG (dpa-AFX) - Der Internationale Seegerichtshof in Hamburg hat in
einem wegweisenden Rechtsgutachten den weltweiten Klimaschutz gestärkt. In dem
am Dienstag verlesenen Gutachten kommen die Richter zu dem Schluss, dass der
menschengemachte Ausstoß von Treibhausgasen zur Erd- und Meereserwärmung
beiträgt und deshalb eine Verschmutzung der Meeresumwelt im Sinne des
UN-Seerechtsübereinkommens darstellt.

Die 169 Unterzeichner des Übereinkommens - darunter Deutschland und die EU - hätten deshalb "die konkrete Verpflichtung, alle erforderlichen Maßnahmen zu
ergreifen, um die Meeresverschmutzung durch menschengemachte
Treibhausgasemissionen zu verhindern, zu verringern und zu kontrollieren, und
sich in diesem Zusammenhang um eine Harmonisierung ihrer Politik zu bemühen",
heißt es in dem Gutachten, das zwar nicht bindend ist, aber großen Einfluss auf
künftige Entscheidungen internationaler Gerichte in Klimafragen haben dürfte.

Demnach sollten die Klima-Maßnahmen unter Berücksichtigung der besten
verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse festgelegt werden und insbesondere
das Ziel verfolgen, den globalen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts auf
1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, so die Richter.

Ausdrücklich wurde dabei auf Maßnahmen zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes
verwiesen: Die Unterzeichnerstaaten müssten "direkt oder über kompetente
internationale Organisationen kontinuierlich, sinnvoll und nach Treu und Glauben
zusammenarbeiten, um Meeresverschmutzung durch menschengemachte
Treibhausgasemissionen zu verhindern, zu reduzieren und zu kontrollieren".

Von diesen Verpflichtungen sind die Staaten laut Gutachten auch nicht durch
andere Abkommen wie das Pariser Klimaschutzabkommen entbunden. Im Pariser
Abkommen ist eine Begrenzung der Erderwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts auf
"deutlich unter" 2 Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter vorgesehen -
angestrebt werden 1,5 Grad.

Zudem könne sich aus dem Seerechtsübereinkommen die Pflicht ableiten,
bereits geschädigte maritime Lebensräume und Ökosysteme wiederherzustellen.
Entwicklungsländer - insbesondere solche, die besonders vom Klimawandel
betroffen sind - müssten in ihrem Kampf gegen die Klimafolgen finanziell und
technologisch unterstützt werden.

Angestrengt hat das Gutachten eine Gruppe von neun kleinen Inselstaaten im
Pazifik und der Karibik, die sich durch den aufgrund der Erderwärmung steigenden
Meeresspiegel in ihrer Existenz bedroht sehen. Gegründet von Tuvalu sowie
Antigua und Barbuda, gehören der Kommission der kleinen Inselstaaten für
Klimawandel und Völkerrecht (COSIS) auch die Bahamas, Niue, Palau, St. Kitts und
Nevis, St. Lucia, St. Vincent und die Grenadinen sowie Vanuatu an.

COSIS-Vertreter werteten das Gutachten als wichtigen Erfolg. Der Klimawandel sei die größte existenzielle Bedrohung für Länder wie ihres, sagte die
tuvaluische Diplomatin Eselealofa Apinelu nach der Verlesung in dem UN-Gericht
in Hamburg-Nienstedten. "Wir sind dankbar für dieses Gutachten." Der Ausstoß von
Treibhausgasen sei nicht nur für den Anstieg des Meeresspiegels und das
Korallensterben verantwortlich. Durch den Klimawandel steige auch die Gefahr
schwerer Unwetter, durch die das Leben viele Menschen in den Inselstaaten
bedroht sei.

"Der heutige Tag markiert einen historischen Meilenstein auf unserem
gemeinsamen Weg zu Umweltgerechtigkeit und Klimaregulierung", sagte der
Rechtsvertreter der Inselstaaten vor dem UN-Gericht, Payam Akhavan. Mit dem
Gutachten werde deutlich, dass es nicht ausreichend sei, wenn Staaten zur
Erreichung des 1,5-Grad-Ziels nur unzureichende Klimapläne vorlegten.

Auch Umweltorganisationen begrüßten das Gutachten. Es ziehe Länder, "die
Meeresschutz vernachlässigen, endlich zur Rechenschaft", sagte die
Greenpeace-Meeresbiologin Franziska Saalmann. "Damit hat der Internationale
Seegerichtshof die klare Aussage getroffen: Meeresschutz ist Klimaschutz." Die
169 Unterzeichner des Seerechtsübereinkommens müssten nun "ins Handeln kommen
und einen effektiven Meeresschutz priorisieren".

Zur Bewältigung der Klimakrise sei die Welt auf die Meere angewiesen, sagte
Julika Tribukait, Meeresschutzexpertin beim WWF Deutschland. "Sie puffern einen
Großteil des Temperaturanstiegs ab, doch die Meere leiden dabei massiv: Mit der
Erwärmung der Ozeane beginnt eine Kaskade aus schmelzendem Meereis, steigendem
Meeresspiegel, marinen Hitzewellen, Versauerung und Sauerstoffentzug der Meere,
deren Anzeichen bereits überall sichtbar sind."

Das Gutachten des Internationalen Seegerichtshofs ist das erste dieser Art.
Auch beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag ist auf Antrag der
UN-Vollversammlung ein entsprechendes Gutachten anhängig, ebenso beim
Interamerikanischen Gerichtshof für Menschenrechte./fi/DP/ngu

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