16.06.2024 17:18:03 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Noch kein bisschen Frieden nach dem Ukraine-Friedensgipfel

(neu: Details und Hintergrund.)

OBBÜRGEN (dpa-AFX) - Uneinigkeit beim Ukraine-Friedensgipfel in der Schweiz: Die Abschlusserklärung wurde am Sonntag nur von 80 der 93 Teilnehmerstaaten
gebilligt. Mächtige Länder wie Brasilien, Indien, Südafrika und Saudi-Arabien
scherten aus. In dem nur gut zweiseitigen Dokument wird unter anderem die
Drohung mit Atomwaffen verurteilt, die Rückkehr von nach Russland verschleppten
Kindern gefordert und der ungehinderte Getreideexporte aus der Ukraine verlangt.

Zu einer Nachfolgekonferenz findet sich in der Erklärung keine klare
Aussage. Die Unterzeichner sprechen sich aber dafür aus, Russland an künftigen
Beratungen zu beteiligen: "Wir glauben, dass die Einbeziehung und der Dialog
zwischen allen Parteien notwendig ist, um Frieden zu schaffen."

Selenskyj verspricht baldigen Nachfolgegipfel

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj versicherte, dass bald ein
zweiter Gipfel folgen soll. Entsprechende Vorbereitungen würden nur Monate und
nicht Jahre dauern, versprach er auf der Abschluss-Pressekonferenz nach dem
zweitägigen Treffen auf dem Bürgenstock, einem Bergrücken über dem
Vierwaldstättersee. Einige Staaten hätten bereits ihre Bereitschaft
signalisiert, Gastgeber eines solchen Gipfels zu sein. Als Favorit gilt
Saudi-Arabien. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte, die
Voraussetzung für eine Teilnahme Russlands sei, dass sich Moskau zur UN-Charta
bekenne.

Der Gipfel in der Schweiz war nach mehr als zwei Jahren russischem
Angriffskrieg gegen die Ukraine der erste Versuch auf höchster Ebene, Wege zum
Frieden auszuloten. Die Erwartungen wurden schon vorher gedämpft. Bundeskanzler
Olaf Scholz, der am Samstag vom G7-Gipfel in Süditalien in die Schweiz reiste,
sprach in den vergangenen Wochen immer wieder von einem "zarten Pflänzchen", das
gepflegt werden müsse.

Biden sammelte lieber Wahlkampfspenden

Die Schweizer Gastgeber hatten sich monatelang darum bemüht, möglichst viele Staaten zur Teilnahme zu bewegen. 160 wurden eingeladen, mehr als 90 sagten zu,
die zu einem großen Teil von Staats- und Regierungschefs vertreten wurden. Aber
einige fanden die Veranstaltung auch von vorneherein nicht wichtig genug.
US-Präsident Joe Biden reiste anders als Scholz vom G7-Gipfel lieber zum Sammeln
von Wahlkampfspenden nach Los Angeles und ließ sich von seiner Stellvertreterin
Kamala Harris vertreten.

Auch wenn sie Russland nicht einluden, bemühten sich die Schweizer
Organisatoren darum, möglichst viele mit Russland befreundete Länder an den
Tisch zu bekommen. Mit China sagte aber der wichtigste Verbündete Moskaus ganz
ab, Brasilien schickte nur einen Beobachter, Indien und Südafrika waren
unterhalb der Ministerebene vertreten.

Keine klare Verurteilung Russlands in Abschlussdokument

Der Entwurf der Abschlusserklärung nahm trotzdem Rücksicht auf die Freunde
Russlands, um einen möglichsten großen Konsens herzustellen. Russland wird darin
nicht ausdrücklich für seinen Angriff auf die Ukraine verurteilt und auch nicht
zum Rückzug aufgefordert.

Das Dokument beruft sich stattdessen auf die Charta der Vereinten Nationen.
"Insbesondere bekräftigen wir unser Bekenntnis zum Verzicht auf die Androhung
oder Anwendung von Gewalt gegen die territoriale Integrität oder politische
Unabhängigkeit eines Staates", heißt es in dem Text. Die Grundsätze der
Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität aller Staaten
innerhalb ihrer international anerkannten Grenzen müssten geachtet werden. Das
schließe die Ukraine ein.

Acht G20-Länder stehen nicht hinter der Erklärung

Aber auch das funktionierte als kleinster gemeinsamer Nenner nicht. Unter
den 13 Ländern, die ausscherten, sind alleine 6 Staaten aus der G20-Gruppe der
wichtigsten Wirtschaftsmächte der Welt: Brasilien, Mexiko, Saudi-Arabien,
Südafrika, Indien und Indonesien. Zusammen mit China und Russland, die gar nicht
dabei waren, können sich also 8 Länder der einflussreichen G20 nicht hinter der
Erklärung versammeln.

Als konkretes Ziel ist darin neben der klaren Absage an einen
Atomwaffeneinsatz der Schutz des von Russland besetzten Atomkraftwerks
Saporischschja formuliert. Der ebenfalls festgeschriebene ungehinderte
Getreideexporte aus der Ukraine ist gerade für arme Länder etwa in Afrika von
großer Wichtigkeit, die auch bei dem Gipfel vertreten waren. Auch der Austausch
aller Kriegsgefangenen wird gefordert.

Die Schweizer Bundespräsidentin Viola Amherd räumte nach dem Gipfel ein,
dass die "Perspektiven und Ausgangspositionen sehr unterschiedlich" gewesen
seien. Aber immerhin habe zum ersten Mal eine hochrangige und breit gestützte
Konferenz über einen Friedensprozess gesprochen, sagte sie.

Lösung noch in weiter Ferne

Wie weit eine Friedenslösung entfernt ist, hatten unmittelbar vor dem Gipfel Äußerungen aus Moskau deutlich gemacht. Russlands Präsident Wladimir Putin
nannte seine Bedingungen für Verhandlungen - darunter der vollständige Verzicht
der Ukraine auf die Gebiete Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und die
Schwarzmeer-Halbinsel Krim - etwas mehr als ein Fünftel des ukrainischen
Staatsgebiets.

US-Vizepräsidentin Kamala Harris wies Putins Forderung am Samstag als
abwegig zurück. "Wir müssen die Wahrheit sagen. Er ruft nicht zu Verhandlungen
auf, er ruft zur Kapitulation auf", sagte sie - und sicherte der Ukraine
anhaltende Unterstützung im Abwehrkampf gegen Russland zu. "Amerika steht nicht
aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem
strategischen Interesse ist."/mfi/mrd/DP/men

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