20.06.2024 18:39:16 - dpa-AFX: POLITIK 2/ROUNDUP: Länder fordern 'konkrete Modelle' zu Asylverfahren

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BERLIN (dpa-AFX) - Die Länder drängen die Bundesregierung
parteiübergreifend, konkrete Modelle zur Auslagerung von Asylverfahren in
Transit- und Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union zu erarbeiten. Auf
Initiative der Union verständigten sich die Ministerpräsidenten am Donnerstag
vor ihrem Treffen mit Kanzler Olaf Scholz (SPD) auf einen entsprechenden
Beschluss. Die SPD-Seite zeigte sich trotzdem skeptisch, dass man mit einer
solchen Regelung die irreguläre Einwanderung deutlich bremsen kann. "Dass das
eine Lösung unserer strukturellen Probleme sein wird, das glaube ich nicht",
sagte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil.

Ähnlich hatte sich zuvor Bundesinnenministerin Nancy Faeser geäußert. Das
könne ein "Bausteinchen" sein, würde aber nicht die Migrationslage in
Deutschland grundlegend ändern, sagte die SPD-Politikerin. Die rot-rot-grünen
Regierungen Thüringens und Bremens zeigten sich in einer Protokollerklärung
unzufrieden mit dem Länder-Beschluss. Die gemeinsame europäische Asylpolitik
müsse die Rechtsstaatlichkeit der Verfahren und Humanität sicherstellen, heißt
es darin. "Die Verlagerung von Asylverfahren in Transit- und Drittstaaten
entspricht diesen Anforderungen nicht." Thüringens Ministerpräsident Bodo
Ramelow (Linke) sprach von einer "Scheinlösung".

Die Union zeigte sich dagegen zufrieden. Nordrhein-Westfalens
Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) forderte von Scholz, die Einigung der
Länder als Auftrag zu sehen, "mit Sorgfalt, Ernsthaftigkeit und Entschlossenheit
eine Drittstaaten-Lösung anzugehen".

Abkommen zwischen Italien und Albanien als Orientierung

Die Union dringt seit langem auf eine Regelung, nach der Migranten entweder
schon auf ihrem Weg nach Europa in Transitstaaten Asylverfahren durchlaufen oder
nach Ankunft in Deutschland in Drittstaaten außerhalb der EU geschickt werden.
Italien hat ein solches Modell mit Albanien für Bootsflüchtlinge vereinbart, die
im Mittelmeer aufgegriffen werden. Das ist zwar nicht eins zu eins auf
Deutschland übertragbar, könnte aber aus Sicht der Union als ein Vorbild dienen,
an dem man sich orientieren kann. Man müsste aber ein Land finden, das zur
Kooperation bereit ist. Das britische Modell, nach dem Asylverfahren in Ruanda
durchgeführt werden sollen und die Bewerber bei der Gewährung von Asyl auch dort
bleiben sollen, wird dagegen derzeit kein ernsthaftes Thema.

Die Einigung sei "ein sehr wichtiger Schritt nach vorne", sagte Wüst. Damit
zeigten die Länder, dass sie sich "ihrer Verantwortung in dieser
herausfordernden Lage stellen". In dem Beschluss wird die Bundesregierung
aufgefordert, "konkrete Modelle zur Durchführung von Asylverfahren in Transit-
und Drittstaaten zu entwickeln und dabei insbesondere auch dafür erforderliche
Änderungen in der EU-Regulierung sowie im nationalen Asylrecht anzugehen". Am
Abend wollten die Ministerpräsidenten mit Scholz und Faeser über den Vorstoß
beraten.

Faeser sagte am Rande der Innenministerkonferenz (IMK) in Potsdam, eine
wirkliche Reduzierung der Zahl der Asylsuchenden werde über eine
Drittstaaten-Regelung nicht gelingen. Es sei nicht der "Gamechanger", betonte
sie. Auch der IMK-Vorsitzende, Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU),
ist skeptisch. "Das ist ein mögliches Projekt, was sehr kompliziert sein wird,
was auch rechtlich nicht einfach einzuordnen sein wird", sagte er. "Aber ich
lasse mich gerne überzeugen davon, dass das versucht werden sollte." Ob sich die
Bundesregierung auf den Länder-Vorstoß einlässt, war zunächst unklar. Es wurde
mit einer Sitzung im Kanzleramt bis in den späten Abend im gerechnet.

Bezahlkarte: Nicht mehr als 50 Euro Bargeld im Monat

Bei der geplanten Bezahlkarte für Asylbewerber einigten sich die Länder
darauf, die Auszahlung von Bargeld auf 50 Euro pro Monat zu begrenzen. Der
Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz, Hessens Regierungschef Boris Rhein
(CDU), sprach von einem wichtigen Zeichen. Die Bezahlkarte solle ab dem Sommer
an den Start gehen, wenn die Ausschreibung für den Dienstleister beendet sein
wird.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil begrüßte den Schritt. Das
schließe die Diskussion zu dem Thema vielleicht ab, sagte der SPD-Politiker. 14
von 16 Bundesländern hatten sich Ende Januar auf ein gemeinsames
Vergabeverfahren für die Bezahlkarte geeinigt. Bayern und Mecklenburg-Vorpommern
gehen eigene Wege.

Bremen und Thüringen schlugen allerdings in einer Protokollerklärung statt
monatlich 50 Euro bar einen "Bargeldkorridor von 50 bis 120 Euro" wegen
unterschiedlicher regionaler Voraussetzungen vor. Rheinland-Pfalz wandte sich
vor diesem Hintergrund gegen "eine starre Festlegung auf einen Barbetrag von
50,00 Euro".

Die Bezahlkarte soll unter anderem Geldzahlungen an Schleuser oder Familien
in den Heimatländern verhindern, Kommunen bei der Verwaltung entlasten und den
Anreiz für illegale Migration senken. Nach dem Treffen der Regierungschefinnen
und -chefs der Länder in der hessischen Landesvertretung in Berlin sind am
Nachmittag weitere Gespräche im Bundeskanzleramt mit Bundeskanzler Olaf Scholz
(SPD) geplant.

Länder bekräftigen Forderung nach Pflichtversicherung für Elementarschäden

Das zweite wichtige Thema bei dem Bund-Länder-Gipfel war die Forderung nach
einer verpflichtenden Elementarschadensversicherung für Katastrophenfälle wie
Hochwasser. "Es ist Sache der Bundesregierung, des Bundestages, in dieser
Hinsicht auch die richtigen Regelungen zu treffen. Darauf hinzuweisen, werden
wir nicht müde werden", sagte Niedersachsens Ministerpräsident Weil.

Die Bundesländer fordern seit einem Jahr die Einführung einer
Pflichtversicherung für Hausbesitzer, doch sowohl die deutschen Versicherer als
auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) lehnen das ab. Nur etwa die
Hälfte der in Deutschland stehenden privaten Gebäude ist elementarversichert.

Eine solche Versicherung deckt oftmals Wetterextreme wie Starkregen oder
Überschwemmung ab. Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) setzte sich
am Donnerstag angesichts der jüngsten Hochwasserereignisse in Bayern vehement
für eine Pflichtversicherung gegen Elementarschäden für Hausbesitzer
ein./mfi/abc/DP/ngu

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