16.06.2024 14:39:56 - dpa-AFX: VERMISCHTES/Gelb, Orange, Rot: Experte fordert Ampel für Weltraumwetterwarnungen

BIRMINGHAM (dpa-AFX) - Vor gut einem Monat sorgte heftiges Brodeln auf der
Sonne für die stärksten Sonnenstürme seit 20 Jahren - sie erreichten auf der
entsprechenden Skala mit G5 die höchste Stufe. Nun fordert ein britischer
Weltraumwetter-Experte im Fachblatt "Nature" eine Überarbeitung der Skalen:
Diese ließen keinen Platz für einmal im Jahrhundert auftretende Superstürme -
obwohl diese eine durchaus drohende Realität seien.

Im Mai zogen spektakuläre Polarlichter über vielen Teilen der Welt die
Menschen in ihren Bann - Ergebnis der derzeit ungewöhnlich starken
Sonnenaktivität. Diese sorgte allerdings nicht nur für farbenfrohe
Naturschauspiele, sondern auch für Funktionsstörungen bei Satelliten, etwa bei
der europäischen Raumfahrtbehörde Esa, und den Internetverbindungen von
Starlink. In Nordamerika klagten Landwirte über einen Ausfall des
satellitengestützten Navigationssystems GPS, wie etwa die "New York Times"
berichtete. Sie mussten demnach ihre Aussaat unterbrechen, da sie das System bei
der Arbeit auf den Feldern nutzen.

Einfache Skalen für ein kompliziertes Phänomen

Eben jene Phänomene veranschaulichen für den Weltraumwetter-Forscher Sean
Elvidge ein Dilemma, mit dem sich seine Fachrichtung konfrontiert sehe: "Wie
können wir wirksame Warnungen herausgeben und kommunizieren, wenn selbst ein so
bedeutender Sturm nur wenig am Leben der meisten Menschen ändert?" Ein Teil des
Problems liege darin, wie Weltraumwetter klassifiziert werde, so Elvidge, der an
der britischen Universität Birmingham forscht. "Die derzeitigen Systeme sind
vereinfacht, das Weltraumwetter ist es nicht."

Die Stärke von Sonnenstürmen wird laut Max-Planck-Institut für
Sonnensystemforschung in drei jeweils fünfstufigen Kategorien angegeben:
- R für Radiostörungen, ausgelöst durch Röntgenblitze
- S für Strahlungseffekte, verursacht durch hochenergetische Teilchen
- G für geomagnetische Effekte, ausgelöst durch Plasmawolken.

Solche Skalen sind laut Elvidge von unschätzbarem Wert, wenn es darum geht,
Industrie und Regierungen das Risiko durch Weltraumwetter zu deutlichen. "Aber
sie sind überholungsbedürftig", meint Elvidge angesichts jenes geomagnetischen
Sturms, der die Polarlichter im Mai verursachte. Der war als G5, also extrem,
eingestuft worden. "Dieser Sturm wurde durch eine rasche Abfolge von mindestens
sieben koronalen Massenauswürfen ausgelöst", schreibt der Experte. "Als diese
mit dem Magnetfeld der Erde kollidierten, komprimierten und störten sie es und
lösten so geomagnetische Stürme aus."

Kein Raum für Superstürme auf der Skala

Elvidge erklärt in seinem Meinungsartikel, dass der Sturm durch viele
Faktoren wie Geschwindigkeit, Masse, Dauer und magnetische Ausrichtung der
koronalen Massenauswürfe beeinflusst wurde. Gerade die lange Dauer mache den
Mai-Sturm zu einem außergewöhnlichen Ereignis: "Wenn ein Ereignis wie das vom
Mai, das als "extrem" eingestuft wird, nur zu minimalen offensichtlichen
Störungen führt, wie sollen dann die Risiken eines noch stärkeren Sturms, der
einmal in 100 Jahren auftritt, vermittelt werden?"

Dem Weltraumwetter-Forscher zufolge sei ein solcher Supersturm ein drohendes Szenario - mit gravierenden Folgen, dessen Kosten Milliarden US-Dollar betragen
könnten. Elvidge listet Stromnetze, Satelliten sowie Funksignale für Luftfahrt,
Schifffahrt und Notdienste als Bereiche, die ein solcher Extremsturm
beeinträchtigen könnte.

Um die Schwere solcher Stürme angemessen zu vermitteln, gebe es bereits
Vorschläge, darunter eine Erweiterung der bestehenden Skalen oder die Einführung
neuer Phänomene wie der Strahlungsdosierung oder der Ausbreitung von Radiowellen
in der oberen Erdatmosphäre.

Elvidge selbst plädiert für ein Ampel-System, das vor allem diejenigen
schnell informiert, die in erster Linie betroffen sein könnten: "So könnten
beispielsweise gelbe Weltraumwetter-Warnungen Branchen wie die Luftfahrt und die
Landwirtschaft warnen, die von kleineren geomagnetischen Stürmen betroffen sein
könnten. Eine orangefarbene Warnung könnte Nutzer wie Stromnetz- und
Radarbetreiber auffordern, vorbeugende Maßnahmen zum Schutz ihrer Dienste zu
ergreifen und sich auf Unterbrechungen vorzubereiten. Eine rote Warnung würde
signalisieren, dass gefährliches Weltraumwetter zu erwarten ist, dessen
potenziell erhebliche Auswirkungen sofortiges Handeln erfordern, und dass
Energieversorger, Satellitenbetreiber und Notdienste unverzüglich Notfallpläne
umsetzen müssen."

Der Experte schlägt vor, dass Weltraumwetter-Zentren weltweit gemeinsam
einen einheitlichen Ansatz zur Verfeinerung von Weltraumwetter-Berichten und
Reaktionsstrategien diskutieren und vereinbaren sollten.

"Während wir uns auf dem Höhepunkt des Sonnenzyklus befinden, ist es wichtig zu erkennen, dass das Weltraumwetter unser tägliches Leben beeinflusst", betont
Elvidge. Tatsächlich schwankt die Aktivität der Sonne in einem etwa elfjährigen
Zyklus. Der aktuelle Zyklus hat gerade sein Maximum - ein solches dauert ein
paar Jahre und geht mit relativ vielen Sonneneruptionen einher. Elvidge
schreibt: "Durch die Verfeinerung der Klassifizierungs- und Meldesysteme können
Wissenschaftler die öffentliche Wahrnehmung besser mit der Realität in Einklang
bringen und sicherstellen, dass wir weder falschen Alarm schlagen noch
unvorbereitet sind."/all/DP/men

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