15.05.2024 19:19:41 - dpa-AFX: ROUNDUP 3: Slowakischer Premier angeschossen und lebensgefährlich verletzt

(neu: Aktualisiert, mit mehr Reaktionen und Details.)

BRATISLAVA (dpa-AFX) - Bei einem Attentat ist der slowakische Regierungschef Robert Fico angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. Der 59-jährige
linksnationale Politiker wurde nach der Bluttat in der Stadt Handlova am
Mittwoch per Hubschrauber in ein Krankenhaus geflogen. Die Polizei teilte mit,
der Angreifer sei festgenommen worden. Laut Augenzeugen schoss ein älterer Mann
nach einer Kabinettssitzung mehrmals auf Fico, als dieser vor der Tür Anhänger
begrüßen wollte. Das Motiv blieb zunächst unklar. Politiker in der ganzen Welt
reagierten bestürzt, darunter US-Präsident Joe Biden und Kanzler Olaf Scholz.

Fico hatte erst vor wenigen Tagen der liberalen Opposition vorgeworfen, ein
Klima der Feindschaft gegen seine Regierung zu schüren. Es sei nicht
auszuschließen, dass es angesichts der aufgeheizten Stimmung irgendwann zu einer
Gewalttat komme.

Der Gründer und Chef der zuletzt immer nationalistischer gewordenen
Linkspartei Smer-SSD ist seit fast 30 Jahren einer der beliebtesten Politiker
der Slowakei. Er polarisiert aber zugleich die slowakische Gesellschaft wie kaum
ein anderer. Gegner nennen ihn "prorussisch" und werfen ihm vor, die Slowakei
auf einen ähnlichen Kurs wie Viktor Orbans Ungarn führen zu wollen.

Am Abend schwebte Fico noch in Lebensgefahr. Das Krankenhaus in der
Regionalhauptstadt Banska Bystrica verhängte eine Informationssperre.

Augenzeugen berichteten im Nachrichtensender TA3, vor dem Kulturhaus in
Handlova seien fünf Schüsse gefallen, als Fico ins Freie ging, um Hände zu
schütteln. Ein Schuss habe ihn in die Brust getroffen. Das Lokalfernsehen RTV
Prievidza veröffentlichte ein Video vom Tathergang: Zu sehen ist, wie sich ein
Mann an den Zaun drängt und aus unmittelbarer Nähe auf den Ministerpräsidenten
schießt, der daraufhin zusammenbricht. Ein anderes Video zeigt, wie Fico von
Begleitern zu einer Dienstlimousine geschleppt wird, um ihn in Sicherheit zu
bringen.

Ein Reporter des öffentlich-rechtlichen Fernsehens RTVS, der den Täter nach
der Festnahme aus der Nähe sehen konnte, schilderte ihn als älteren Mann. Er
habe desorientiert gewirkt und Blut auf der Stirn gehabt. Das komme aber wohl
daher, dass ihn die Polizisten überwältigten und auf den Boden drückten.

Der slowakische Innenminister Matus Sutaj Estok rief nach dem Attentat zur
Mäßigung auf. Die Schüsse auf Fico seien ein "Attentat auf die Demokratie". Es
sei nun die gemeinsame Aufgabe aller in der Slowakei, die Verbreitung
politischen Hasses sofort zu beenden.

Auch Staatspräsidentin Zuzana Caputova sagte, es handele sich auch um einen
Angriff auf die Demokratie. "Jegliche Gewalt ist inakzeptabel. Die hasserfüllte
Rhetorik, derer wir in der Gesellschaft Zeuge geworden sind, führt zu
hasserfüllten Aktionen. Bitte, lasst uns damit aufhören."

Die liberale Präsidentin hatte sich trotz großer Beliebtheit nicht um eine
zweite Amtszeit beworben, weil sie nach eigenen Worten "nach Jahren politischer
Krisen und mehreren Regierungswechseln nicht mehr die Kraft" habe. Das Klima
zwischen Regierung und Opposition gilt als vergiftet.

US-Präsident Joe Biden sprach von einer "schrecklichen Gewalttat". "Unsere
Gedanken sind bei seiner Familie und dem slowakischen Volk", erklärte er.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nannte das Attentat auf Fico "unerträglich".
"Ich wünsche ihm, dass er sich gut von diesem feigen Anschlag erholt", sagte
Scholz.

In Europa ist Fico wegen seiner oft überspitzten Formulierungen zur Ukraine- und Russland-Politik der EU umstritten. Im Wahlkampf für die Parlamentswahl im
Herbst 2023, die er gewann, ließ er mit der Ankündigung aufhorchen, er wolle
"keine Patrone" mehr an Waffen an die Ukraine liefern. Tatsächlich aber hat die
Slowakei seit Ficos Rückkehr an die Regierung im Oktober alle EU-Sanktionen
gegen Russland mitgetragen und auch allen EU-Hilfen für die Ukraine zugestimmt -
einschließlich der Verwendung eingefrorener russischer Gelder für die Ukraine
und Befürwortung eines Beitritts der Ukraine zur EU - nicht aber zur Nato.

Die Sanktionen gegen Russland lehnt Fico entgegen irreführender
Medienberichte nicht grundsätzlich ab. Er kritisiert aber, dass manche von ihnen
der von russischem Gas, Öl und Uran abhängigen Slowakei mehr schaden als
Russland selbst. Stattdessen verlangt er Sanktionen, die Russland empfindlicher
treffen./ct/DP/men

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