12.05.2024 14:55:12 - dpa-AFX: VERMISCHTES/PORTRÄT: 'Ich möchte loslassen' - Ranga Yogeshwar wird 65

HENNEF (dpa-AFX) - Im Flutsommer 2021 wurde auch das Haus von Ranga
Yogeshwar in Hennef bei Bonn überschwemmt. Da setzte sich der studierte
Experimentalphysiker erst einmal hin und berechnete die Wassermenge, die sein
Tal heimgesucht hatte. "Das war wahrscheinlich meine Art, das Trauma zu
verarbeiten", sagt der Wissenschaftsjournalist der Deutschen Presse-Agentur.
Verarbeitung mittels Durchdringung auf Zahlen- und Faktenbasis - das passt zu
ihm.

Ranga Yogeshwar, der am Samstag (18.5.) 65 Jahre alt wird, hat mehr als 25
Jahre lang das WDR-Wissensmagazin "Quarks" moderiert. Inzwischen arbeitet er "an
seinem eigenen Bedeutungsverlust", wie er es formuliert. Er hält noch Vorträge,
aber im Fernsehen sieht man ihn nur noch, wenn er in eine Talkshow eingeladen
wird. Dabei wirkt er sehr zufrieden. "Ich möchte loslassen. Wenn ich jetzt
manchmal Mentor von Jüngeren sein kann, finde ich das total cool. Ich bin
happy."

Yogeshwar war nicht nur einer der ersten Wissenschaftsjournalisten, die
richtig bekannt wurden, er war auch einer der ersten nicht weißen Moderatoren im
deutschen Fernsehen. Sein Vater war ein indischer Ingenieur, verheiratet mit
einer Luxemburgerin. Er selbst hat die luxemburgische Staatsbürgerschaft, aber
einen großen Teil seiner Kindheit in Indien verbracht. "Wir wohnten in
Südindien, in der Nähe von Bangalore, eine Stadt mit damals 400 000 Einwohnern.
Inzwischen ist das eine Megastadt mit elf Millionen Einwohnern."

Seine Hautfarbe ist der Grund dafür, dass er seit mehr als 30 Jahren mit
Drohungen lebt. Mal mehr, mal weniger. "Ich habe mich aber nie als Opfer
gefühlt. Meine Haltung war immer: Einfach machen, die Normalität kommt dann
irgendwann von selbst. Als ich anfing, war ich ziemlich allein. Wenn ich mir
jetzt das Programm ansehe, denke ich: Geht doch!"

Immer wieder hat sich Yogeshwar auch politisch positioniert, so war er
wenige Wochen nach Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine einer
der Verfasser eines offenen Briefs, in dem Prominente an Bundeskanzler Olaf
Scholz appellierten, der Ukraine keine schweren Waffen zu liefern. Zu den
Erstunterzeichnern gehörten auch die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer, der
inzwischen gestorbene Schriftsteller Martin Walser, der Kabarettist Gerhard Polt
und der Sänger Reinhard Mey.

Yogeshwar hat seine journalistische Karriere Anfang der 80er Jahre begonnen, in der Zeit des Nato-Doppelbeschlusses und der Bonner Hofgarten-Demo. Es war die
große Zeit der deutschen Friedensbewegung, und er war Teil davon. Sein erstes
Buch hieß "Verantwortung für den Frieden". Viele, die damals auch
demonstrierten, unterstützen jetzt die Militär- und Finanzhilfen für die Ukraine
und verstehen dies gerade auch als Dienst am Frieden, weil sie sagen, dass
Russlands Präsident Wladimir Putin im Falle eines Sieges über die Ukraine immer
weitermachen werde. Yogeshwar sieht das anders.

"Ich bin definitiv kein Putin-Versteher", versichert er. "Ich weiß nicht,
was er denkt. Aber ich weiß etwas anderes: In der Welt von morgen werden wir uns
auf Dauer mit sehr viel größeren Ländern wie etwa China arrangieren müssen, die
eben keine Demokratien westlichen Zuschnitts sind. In dieser multipolaren Welt
werden wir Probleme nicht lösen, indem wir voll auf Konflikt gehen. Was dabei
herauskommt, haben wir in Vietnam gesehen, in Afghanistan, im Irak. Ich bin
davon überzeugt, es ist an der Zeit, eine andere Konflikt-Grammatik zu
entwickeln. Wir sehen doch jetzt, dass keine der beiden Seiten - weder Russland
noch die Ukraine mit westlicher Unterstützung - den Krieg gewinnen kann. Es geht
einfach immer weiter, wie damals im Ersten Weltkrieg. Und das ist absurd, das
ist schrecklich."

Das Thema, das Yogeshwar am meisten beschäftigt, ist der Klimawandel. Er
selbst ist acht Monate im Jahr autark, was Mobilität, Heizung und Strom
betrifft. "Das ist für mich auch ein Experiment: Was ist machbar, was ist
möglich? Die Idee dahinter ist, es immer weiter voranzutreiben. Ich will aber
niemandem mit erhobenem Zeigefinger kommen. Jeder muss selbst entscheiden, was
möglich ist."

Yogeshwar und seine Frau haben vier Kinder und vier Enkel. Einer seiner
Vorträge trägt den Titel "Emils Welt", so benannt nach seinem ältesten
Enkelsohn. "Die Perspektive dahinter ist - erstens: Diese Generation wird das
nächste Jahrhundert erleben. Und zweitens: Wir reden gern von der Zukunft - "im
Jahr Soundso sind wir CO?-frei" - für diese Generation wird das die Gegenwart
sein. Es ist das eine, als intellektuelles Spiel über die Zukunft nachzudenken,
und etwas anderes, über Kinder und Enkelkinder emotional involviert zu sein. Das
bringt eine besondere Wahrhaftigkeit und Dringlichkeit mit sich."/cd/DP/he

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