20.05.2024 07:01:12 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Irans Präsident und Außenminister bei Helikopter-Absturz umgekommen

(Neu: Weitere Details)

TEHERAN (dpa-AFX) - Der iranische Präsident Ebrahim Raisi und sein
Außenminister Hussein Amirabdollahian sind beim Absturz ihres Hubschraubers im
Iran ums Leben gekommen. Keiner der neun Insassen habe überlebt, berichteten die
staatliche Nachrichtenagentur Irna und das Staatsfernsehen am Montag. Zur
Ursache des Unglücks gab es zunächst keine offiziellen Informationen.

Raisi war am Sonntagnachmittag zusammen mit Außenminister Amirabdollahian
auf der Rückreise von einem Treffen mit dem Präsidenten des Aserbaidschan, Ilham
Aliyev, als ihre Maschine bei dichtem Nebel vom Radar verschwand. Gemeinsam
hatten sie im Nachbarland einen Staudamm eingeweiht. Mit insgesamt drei
Hubschraubern machte sich der Tross danach auf den Rückweg gen Iran, doch die
Präsidentenmaschine kam nicht an ihrem Bestimmungsort an.

Daraufhin entbrannten Spekulationen, ob der Absturz auf schlechtes Wetter,
einen technischen Defekt am Hubschrauber oder gar Sabotage zurückzuführen sei.
Klarheit darüber gab es bis zum Montagmorgen nicht.

Irans Luftwaffe gilt als stark veraltet, ihre Modernisierung kommt
angesichts scharfer internationaler Sanktionen kaum voran, Ersatzteile sind
schwer zu beschaffen. Viele Flugzeuge und Helikopter stammen noch aus der Zeit
vor der Islamischen Revolution von 1979, als das Land enge Beziehungen zu den
USA unterhielt. Immer wieder kommt es zu folgenschweren Unfällen und Abstürzen.

Iran droht politische Krise

Stundenlang suchten Rettungskräfte bei strömenden Regen, Nebel und in
schwierigem Terrain nach der Absturzstelle, ehe sie die Trümmer des Helikopters
am frühen Morgen an einem Hang entdeckten. Iranische Medien zeigten Bilder eines
völlig ausgebrannten Wracks.

Irans erster Vizepräsident, Mohammed Mochber, leitete am späten Sonntagabend eine Notsitzung des Kabinetts. Das Protokoll sieht vor, dass der erste
Vizepräsident nach dem Tod des Präsidenten die Amtsgeschäfte als Regierungschef
weiterführt. Laut der Verfassung müssen dann innerhalb von 50 Tagen Neuwahlen
stattfinden.

Das Unglück dürfte die Islamische Republik in eine politische Krise stürzen. Mangels Alternativen dürfte sich die Suche nach einem langfristigen Nachfolger
für Raisi schwierig gestalten. Und insbesondere Amirabdollahian war als
Außenminister seit Beginn des Gaza-Kriegs verstärkt in die Öffentlichkeit
gerückt und hatte zahlreiche Reisen zu Verbündeten unternommen.

Regierung wegen repressiver Politik in der Kritik

Während Regierungsanhänger um die Staatsmänner trauerten, brachten
zahlreiche Iranerinnen und Iraner in sozialen Medien ihre Schadenfreude über den
Hubschrauberabsturz zum Ausdruck. Raisis Regierung steht seit Jahren wegen ihrer
erzkonservativen Wertevorstellungen, der Unterdrückung von Bürgerrechten und der
schweren Wirtschaftskrise im Iran in der Kritik.

Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei versicherte bereits am Sonntag, dass
die Regierungsgeschäfte in keinem Fall beeinträchtigt würden. "Es wird keine
Unterbrechung der Aktivitäten des Landes geben", zitierte ihn die Staatsagentur
Irna.

Raisi war im August 2021 als neuer Präsident vereidigt worden. Der
erzkonservative Kleriker wurde damit offiziell Nachfolger von Hassan Ruhani, der
nach zwei Amtsperioden nicht mehr antreten durfte. Als Spitzenkandidat der
politischen Hardliner sowie Wunschkandidat und Protegé des Religionsführers
Chamenei hatte Raisi die Präsidentenwahl mit knapp 62 Prozent der Stimmen
gewonnen.

Der Iran stand zuletzt verstärkt in den Schlagzeilen, auch weil ein
regionaler Krieg mit dem Erzfeind Israel zu drohen schien. Während Raisis
Amtszeit vertiefte die Islamische Republik ihre wirtschaftliche und militärische
Kooperation mit China und Russland, die Beziehung zum Westen kühlte unter
anderem wegen des Streits über das iranische Atomprogramm ab. Außerdem warf der
Westen der Führung in Teheran schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen vor.
Trotzdem gab es erst vor wenigen Tagen wieder Berichte über neue, indirekte
Gespräche mit den USA im Golfstaat Oman.

Religiöser Hardliner: Raisi als Mann des Systems

Raisi wurde 1960 in Maschhad geboren und war über drei Jahrzehnte in der
zentralen Justizbehörde des Landes tätig. 2019 wurde er zum Justizchef ernannt.
In seiner früheren Funktion als Staatsanwalt soll er im Jahr 1988 für zahlreiche
Verhaftungen und Hinrichtungen politischer Dissidenten verantwortlich gewesen
sein, weshalb seine Gegner ihm den Beinamen "Schlächter von Teheran" verpassten.

Experten hatten Raisi zwischenzeitlich auch als möglichen Nachfolger für
Chamenei gehandelt, der im April 85 Jahre alt wurde. Auch wenn sich die Kritik
der jungen Generation inzwischen immer mehr gegen das gesamte System der
Islamischen Republik richtet, stand Raisi innenpolitisch besonders unter Druck.
Zuletzt trieb die Regierung ihren umstrittenen Kurs bei der Verfolgung des
Kopftuchzwangs voran und brachte damit Teile der Bevölkerung noch mehr gegen
sich auf.

Raisis Tod dürfte Machtkampf auslösen

Sollte das Präsidentenamt neu besetzt werden müssen, dürfte in Teheran ein
heftiger Machtkampf ausbrechen, schrieb der Iran-Experte Arash Azizi in einer
Analyse für die US-Zeitschrift "The Atlantic". Raisis Passivität habe
Herausforderer unter den Hardlinern ermutigt. Sie würden seine schwache
Präsidentschaft als Chance sehen, schrieb Azizi. "Der Tod von Raisi würde das
Machtgleichgewicht zwischen den Fraktionen innerhalb der Islamischen Republik
verändern."/arb/DP/zb

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH