22.05.2024 16:12:38 - dpa-AFX: ROUNDUP 2: Was bringt Lauterbachs Hausärzte-Offensive?

(Durchgehend aktualisiert nach Kabinettsbeschluss und Pressekonferenz)

BERLIN (dpa-AFX) - Bessere Bedingungen für Hausarztpraxen sollen die
Vor-Ort-Versorgung für Millionen Menschen in ganz Deutschland stärker absichern.
Darauf zielen Gesetzespläne von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, die
das Kabinett am Mittwoch auf den Weg brachte. "Arzttermine zu bekommen, wird für
Patientinnen und Patienten dadurch einfacher, unnötige Arztbesuche fallen weg,
und lange Wartezeiten in den Praxen werden vermieden", sagte der SPD-Politiker.
Vorgesehen sind dafür finanzielle Anreize. Ärztevertreter forderten weitere
Schritte, Patientenschützer und Krankenkassen meldeten Zweifel an Verbesserungen
an.

Lauterbach machte klar, dass das Thema sogar eine Bedeutung für die
Demokratie habe. Man dürfe nicht zulassen, dass sich auf dem Land oder in
ärmeren Teilen von Großstädten "medizinische Banlieues" entwickelten - also
Brennpunktzonen, in denen es keine ausreichende Versorgung mehr gebe. Schon
jetzt seien bundesweit 5000 Hausarztsitze unbesetzt. Der Beruf solle daher
"lukrativer, unbürokratischer und damit attraktiver" gemacht werden. "Ich
glaube, das wird ziehen", sagte der Minister. Locken soll auch, dass
Hausärztinnen und Hausärzte mehr von zu Hause arbeiten können, etwa um Rezepte
oder Krankschreibungen digital auszustellen.

Die Offensive für bessere Bedingungen soll erreichen, das Praxisnetz mit
Blick auf nahe Ruhestandswellen zu erhalten. Denn Hausärzte seien erste
Ansprechpersonen für Versicherte und Lotsen im System, heißt es im Entwurf. Zwar
zeigte sich zuletzt kein Rückgang mehr. Ende 2023 gab es laut Bundesarztregister
51 389 Hausärzte und damit 75 mehr als Ende 2022. Zehn Jahre zuvor waren es aber
52 262 gewesen. Bei Hausärzten ist der Anteil der Über-60-Jährigen mit 37
Prozent besonders hoch.

Vergütung: Für Hausärzte sollen - wie schon bei Kinderärzten - sonst übliche Obergrenzen bei der Vergütung aufgehoben werden. Das bedeutet, dass sie
Mehrarbeit sicher honoriert bekommen, auch wenn das Budget ausgeschöpft ist.
"Jede Leistung wird bezahlt", sagte Lauterbach. So soll es für Hausärzte auch
attraktiver werden, wieder mehr Patienten anzunehmen. Zu Buche schlagen dürfte
die Umstellung mit einem "unteren dreistelligen Millionenbetrag" an Mehrkosten
bei den gesetzlichen Krankenkassen, wie das Ministerium schätzt.

Neue Pauschalen: Praxen sollen eine jährliche "Versorgungspauschale" für
Patienten mit leichten chronischen Erkrankungen und wenig Betreuungsbedarf
erhalten. Das soll Praxisbesuche in jedem Quartal nur zum Rezepte holen
vermeiden und mehr Freiräume schaffen. Hausärzte könnten medizinisch festlegen,
ob jemand zweimal oder achtmal im Jahr kommen sollte, erläuterte Lauterbach.
Eine neue "Vorhaltepauschale" sollen Praxen bekommen, die bestimmte Kriterien
erfüllen - etwa zu Haus- und Pflegeheimbesuchen oder Abendsprechstunden nach
19.00 Uhr.

Jugendliche: Verbessert werden sollen laut Entwurf auch psychotherapeutische Angebote für Kinder und Jugendliche. Dazu soll für Planungen des Bedarfs eine
neue eigene Arztgruppe gebildet werden. Dies ermögliche "eine zielgenauere
Steuerung der Niederlassungsmöglichkeiten" für entsprechende Praxen.

Transparenz: Für gesetzlich Kranken- und Pflegeversicherte soll ein
digitales Informations- und Vergleichsangebot geschaffen werden, wie es im
Entwurf heißt. Abrufbar sein sollen dort etwa Zahlen zu Genehmigungen,
Ablehnungen und Widersprüchen bestimmter Kassenleistungen - aber auch zur
Bearbeitungsdauer und zur Qualität von Beratungs- und Unterstützungsangeboten.

MVZ: Für Kommunen soll es einfacher werden, medizinische Versorgungszentren
(MVZ) zu gründen, in denen Ärztinnen und Ärzte unter einem Dach arbeiten - unter
anderem mit Erleichterungen bei der Höhe nötiger Sicherheitsleistungen.

In der Warteschleife: Um das Vorhaben in Gang zu setzen, hat Lauterbach
einige in der Koalition umstrittene Punkte herausgelöst. In den
parlamentarischen Beratungen sollen sie aber erneut aufgerufen werden. Dazu
gehören "Gesundheitskioske", also leicht zugängliche Beratungsstellen für
Behandlung und Prävention in Gegenden mit vielen sozial benachteiligten
Menschen. Stark machen will sich Lauterbach auch für ein Aus für homöopathische
Leistungen auf Kassenkosten. Der Entwurf geht jetzt in den Bundestag, die erste
Lesung wird noch vor der Sommerpause angepeilt.

Reaktionen: Der Hausärztinnen- und Hausärzteverband begrüßte "spürbare
Verbesserungen" durch den Wegfall der Honorar-Limits. Dies reiche aber nicht
aus, um das Ruder herumzureißen. Der Spitzenverband der gesetzlichen
Krankenkassen monierte "wenig Mehrwert für viel Beitragsgeld". Ohne das
Steuerungsinstrument der Vergütungs-Obergrenzen könnten sogar weniger Anreize
bestehen, Praxen in ländlichen Räumen zu führen. Die Deutsche Stiftung
Patientenschutz erklärte, eine Entscheidung dafür hänge von weiteren Faktoren
ab. Und für chronisch kranke, alte und pflegebedürftige Menschen werde es immer
schwieriger, einen neuen Hausarzt nach einer Praxisaufgabe zu finden.
Unions-Experte Tino Sorge (CDU) bemängelte, es sei völlig offen, wie auch
Fachärztinnen und Fachärzte unterstützt werden sollten./sam/DP/ngu

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