19.06.2024 12:19:00 - dpa-AFX: POLITIK/Brief an Scholz: Organisationen gegen ausgelagerte Asylverfahren

BERLIN (dpa-AFX) - Vor der Innenministerkonferenz (IMK) haben sich über 300
Organisationen in einem offenen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sowie
die Ministerpräsidenten der Länder gewandt und gegen Asylverfahren in
Drittstaaten ausgesprochen. "Bitte erteilen Sie Plänen zur Auslagerung von
Asylverfahren eine klare Absage", fordern die Verfasser in dem am Mittwoch
veröffentlichten Brief. Zu den Unterzeichnern gehören unter anderem Amnesty
International Deutschland, Ärzte ohne Grenzen und Pro Asyl.

Die am Mittwoch in Potsdam beginnende IMK wird von Fragen der Migrations-
und Asylpolitik bestimmt. Es geht auch um die umstrittene Forderung,
Schwerkriminelle und islamistische Gefährder nach Syrien und Afghanistan
abschieben zu können. Scholz hatte nach der tödlichen Messerattacke in Mannheim
Ende Mai angekündigt, das wieder ermöglichen zu wollen.

Die Verfasser des Briefs argumentieren, Aufnahme und Teilhabe funktioniere,
wenn alle an einem Strang zögen. "Pläne, Flüchtlinge in außereuropäische
Drittstaaten abzuschieben oder Asylverfahren außerhalb der EU durchzuführen,
funktionieren hingegen in der Praxis nicht, sind extrem teuer und stellen eine
Gefahr für die Rechtsstaatlichkeit dar."

Sie führten absehbar zu schweren Menschenrechtsverletzungen wie pauschale
Inhaftierung oder dass Menschen in Länder abgeschoben werden, in denen ihnen
menschenunwürdige Behandlung oder Verfolgung drohten, heißt es weiter. Die
aktuelle Debatte hat den Verfassern zufolge bereits Auswirkungen. "Bei
Geflüchteten lösen solche Vorhaben oft große Angst aus und erhöhen die Gefahr
von Selbstverletzungen und Suiziden."

In einer gemeinsamen Stellungnahme forderten auch die Diakonie, Brot für die Welt und die Evangelische Kirche in Deutschland, von Abschiebungen nach
Afghanistan oder Syrien abzusehen.

Die Pläne, Asylverfahren an Drittstaaten auszulagern, "sind unsolidarisch
und menschenrechtlich bedenklich", kritisierte die Präsidentin von Brot für die
Welt, Dagmar Pruin. "Sich der eigenen Verantwortung für notleidende Menschen zu
entziehen, indem man die Aufgabe anderen, ärmeren Staaten aufbürdet, ist
unverantwortlich, unrechtmäßig und dazu unrealistisch. Es schafft das
Flüchtlingsrecht de facto ab", fügte die Präses der Synode der Evangelischen
Kirche in Deutschland, Anna-Nicole Heinrich, hinzu./tre/DP/jha

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