26.06.2024 07:04:13 - dpa-AFX: POLITIK/ROUNDUP: Julian Assange ist ein freier Mann - Heimkehr nach Australien

SAIPAN (dpa-AFX) - Nach 14 Jahren juristischer Odyssee ist Wikileaks-Gründer
Julian Assange ein freier Mann. Ein US-Gericht auf der Marianen-Insel Saipan -
einem US-Außengebiet im Westpazifik - segnete am Mittwoch einen Deal zwischen
dem Australier und der amerikanischen Justiz im Zusammenhang mit
Spionagevorwürfen ab. Im Gegenzug für ein teilweises Schuldbekenntnis ist
Assange wegen seiner bereits in Großbritannien verbüßten Haft nun auf freiem Fuß
- und mit einer Chartermaschine unterwegs in Richtung Heimat. Am Abend
(Ortszeit) wird er in der Hauptstadt Canberra erwartet.

Assange ist der Protagonist eines großen Spionageskandals. 2006 hatte er die Enthüllungsplattform Wikileaks gegründet mit der Mission, Whistleblower zu
unterstützen und verborgene Informationen ans Licht zu bringen. Von 2010 an
veröffentlichte Wikileaks geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und
in Afghanistan der Whistleblowerin Chelsea Manning. Die USA warfen Assange in
der Folge vor, geheimes Material gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben
von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.

Der Kontrast zwischen der kleinen Gefängniszelle im Londoner
Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh, in dem der Whistleblower die letzten fünf
Jahre verbracht hat, und der pazifischen Trauminsel Saipan könnte größer nicht
sein. Saipan gilt als Taucherparadies und Touristenmagnet. Nachdem sich die
Ereignisse seit Montag überschlagen hatten, fand sich Assange nur zwei Tage
später unter blauem Tropenhimmel und in der Nähe von palmengesäumten Stränden
wieder.

Von London Stansted war er am Montag mit einer Chartermaschine vom Typ
Bombardier zunächst nach Bangkok geflogen und von dort am Dienstagabend in das
US-Außengebiet gestartet. Die Flugnummer VJT199, die Assanges Frau Stella und
Wikileaks zuvor in sozialen Medien genannt hatten, war seit Tagen die von
Nutzern weltweit am meisten beobachtete Verbindung.

Freudentränen der Ehefrau

Kaum jemand kann Assanges Gemütszustand wohl besser nachvollziehen als seine Frau Stella, die auf X zu seiner Ankunft auf der Insel schrieb: "Ich sehe mir
die Aufnahmen an und denke daran, wie groß die Reizüberflutung sein muss, wenn
er nach Jahren der sensorischen Deprivation in den vier Wänden seiner
Hochsicherheitszelle im Belmarsh-Gefängnis jetzt durch das Gedränge der Presse
geht."

Nach der Gerichtsentscheidung jubelte sie in sozialen Netzwerken: "Julian
verlässt das Gericht von Saipan als freier Mann. Ich kann nicht aufhören zu
weinen." Die 40-jährige Anwältin hatte den Australier 2022 während seiner Haft
geheiratet und hat zwei Kinder mit ihm.

Angst bis zur letzten Minute

Die amerikanische Justiz wollte Assange lange Zeit den Prozess wegen
Spionagevorwürfen machen: Bis zu 175 Jahre Haft hätten ihm in den USA gedroht.
Stattdessen handelte er nun mit den US-Behörden einen Deal aus und bekannte sich
der Verschwörung zur unrechtmäßigen Beschaffung und Verbreitung von geheimen
Unterlagen schuldig. In die USA wollte Assange zur Absegnung des Deals aber
partout nicht - zu groß war wohl das Misstrauen. Stattdessen flog er auf die
beschaulichen Marianen, die zwar zu den USA gehören, aber deutlich näher an
seiner australischen Heimat liegen.

Richterin Ramona Manglona legte am Morgen (Ortszeit) fest, dass als Strafmaß jene Zeit gilt, die der Internetaktivist bereits in der Haft in London verbüßt
hat. Damit ist er jetzt offiziell frei. Das US-Justizministerium bestätigte
später in einer Mitteilung, dass der Fall offiziell abgeschlossen sei. Aber die
Angst, dass in letzter Minute doch noch etwas hätte schiefgehen können, war
groß. Nach der Entscheidung soll Assange Beobachtern zufolge sehr emotional und
den Tränen nah gewesen sein.

"Es sieht so aus, als würde dieser Fall mit mir hier in Saipan enden",
zitierten britische Medien Richterin Manglona. Es handele sich offenbar um ein
verfrühtes Geburtstagsgeschenk, fügte sie hinzu: "Ich habe gehört, dass Sie
nächste Woche Geburtstag haben. Ich hoffe, Sie beginnen Ihr neues Leben auf
positive Weise." Assange wird am kommenden Mittwoch (3. Juli) 53 Jahre alt.

Anwälte danken australischem Premier

"Ich hoffe, dass die Tatsache, dass es uns heute gelungen ist, Julian
Assange trotz aller Widrigkeiten und gegen eine der mächtigsten Regierungen der
Welt freizubekommen, allen weltweit inhaftierten Journalisten und Verlegern
Hoffnung gibt", sagte die australische Menschenrechtsanwältin Jennifer Robinson
am Mittwoch vor dem Gericht und sprach von einem "historischen Tag".

Robinson dankte vor allem dem australischen Premierminister Anthony Albanese für dessen unermüdlichen Einsatz für Assange. Der Regierungschef habe sich immer
wieder auf höchster Ebene für eine Lösung in dem juristischen Tauziehen
starkgemacht. Assanges Anwalt Barry Pollack sagte, Assange habe in seinem Kampf
für freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit enorm gelitten.

Es ist das abenteuerliche Ende einer jahrelangen Saga. Vor seiner
aufsehenerregenden Festnahme im April 2019 hatte sich Assange sieben Jahre in
der ecuadorianischen Botschaft in London verschanzt und so dem Zugriff der
Strafverfolgungsbehörden entzogen.

Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden ins
Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an
Beweisen fallen gelassen. Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände,
Künstler und Politiker setzten sich derweil immer wieder für seine Freilassung
ein. Es wird der erwartet, dass Assange sich nach der Heimkehr nach Australien
erstmals öffentlich äußern wird./jac/cfn/DP/stk

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