04.07.2024 14:26:34 - dpa-AFX: EM 2024/ROUNDUP/Wolfsgruß-Debatte: Erdogan reist zum Viertelfinale nach Berlin

BERLIN (dpa-AFX) - Nach der scharfen Kritik am Wolfsgruß-Jubel des
türkischen Fußball-Nationalspielers Merih Demiral wird das EM-Viertelfinale in
Berlin zur politischen Bühne. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan
fliegt kurzfristig in die Hauptstadt zum Spiel am Samstag gegen die Niederlande.
Er sagte dafür seine geplante Reise nach Aserbaidschan ab, wie die Deutsche
Presse-Agentur aus informierten Kreisen erfuhr. Berichten zufolge ist dies auch
eine Reaktion auf die Debatte in Deutschland. Beide Nationen bestellten in der
Affäre den jeweiligen Botschafter des anderen Landes ein.

"Wir haben den Vorfall heute mit dem türkischen Botschafter in Berlin
thematisiert", sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Donnerstag auf
dpa-Anfrage. Der deutsche Botschafter in der Türkei war am Mittwoch einbestellt
worden. Die Einbestellung eines Botschafters gilt als scharfes diplomatisches
Mittel. Vorausgegangen waren deutliche Reaktionen aus der Politik beider Länder.

Kritik von der Kurdischen Gemeinde Deutschland

In türkischen Medien hieß es, Erdogan wolle mit seinem Besuch der türkischen Mannschaft den Rücken stärken. Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde in
Deutschland, Ali Ertan Toprak, forderte die Bundesregierung beim
Redaktionsnetzwerk Deutschland auf, Erdogan "nicht den roten Teppich"
auszurollen. Der Besuch des Spiels sei wahrscheinlich nicht zu verhindern. Zu
der Partie im Olympiastadion (21.00 Uhr/RTL und MagentaTV) werden Tausende
türkische Fans erwartet.

Demiral hatte sein zweites Tor beim Sieg im Achtelfinale gegen Österreich am Dienstag in Leipzig mit der Geste gefeiert, deren Ursprung einer
rechtsextremistischen Bewegung zugeordnet wird. Unter anderem
Bundesinnenministerin Nancy Faser kritisierte dies scharf. Die SPD-Politikerin
sagte: "Die Symbole türkischer Rechtsextremisten haben in unseren Stadien nichts
zu suchen." Auf sportpolitischer Ebene ermittelt die Europäische Fußball-Union
UEFA, Demiral droht eine Sperre.

Debatte über Verbot der "Grauen Wölfe"

Das türkische Außenministerium bezeichnete die UEFA-Untersuchung als
inakzeptabel. Nicht jede Person, die das Zeichen der "Grauen Wölfe" zeige, könne
als rechtsextremistisch bezeichnet werden, hieß es. Der Wolfsgruß sei in
Deutschland zudem nicht verboten - und die Reaktionen der deutschen Behörden
seien "ausländerfeindlich".

Der Wolfsgruß drückt in der Regel die Zugehörigkeit oder das Sympathisieren
mit der türkischen rechtsextremen Ülkücü-Bewegung und ihrer Ideologie aus. In
der Türkei wird er etwa von der ultranationalistischen Partei MHP genutzt, die
Partner der Regierung von Erdogan ist. Im Zuge eines erstarkenden Nationalismus
haben zuletzt aber auch Vertreter der politischen Mitte das Zeichen genutzt, um
etwa Wähler aus nationalistischeren Milieus anzusprechen.

Ein Beispiel ist der damalige Erdogan-Herausforderer und
Mitte-Links-Politiker Kemal Kilicdaroglu im Präsidentschaftswahlkampf 2023. In
Deutschland wird die Ülkücü-Bewegung vom Verfassungsschutz beobachtet. Demiral
hatte gesagt, dass er mit der Geste nur ausdrücken wollte, dass er stolz sei,
Türke zu sein und keine versteckte Botschaft dahinterstecke.

In Deutschland forderten die Parteien Bündnis Sahra Wagenknecht und Die
Linke ein Verbot der "Grauen Wölfe". In vielen EU-Staaten seien die "Grauen
Wölfe" zu Recht verboten. "Nur die Bundesregierung schaut weg und will das
Problem nicht erkennen", sagte die Bundesgeschäftsführerin der Linken, Katina
Schubert, dem "Tagesspiegel". Sevim Dagdelen, außenpolitische Sprecherin der
BSW-Gruppe im Bundestag, sagte: "Innenministerin Faeser und die Ampel sollten
nicht nur jammern, sondern endlich handeln und die Grauen Wölfe samt Wolfsgruß
verbieten, wozu sie unser Antrag auffordert."/jam/DP/jha

© 2000-2024 DZ BANK AG. Bitte beachten Sie die Nutzungsbedingungen | Impressum
2024 Infront Financial Technology GmbH