04.07.2024 12:57:43 - dpa-AFX: ROUNDUP/Statistik: Fast zwei Millionen leerstehende Wohnungen in Deutschland

WIESBADEN (dpa-AFX) - Auch wenn die Nachfrage nach Wohnraum hoch ist: Viele
Wohnungen stehen in Deutschland leer. Nach Erhebungen des Zensus waren es zum
Stichtag 15. Mai 2022 rund 1,9 Millionen Wohnungen, die aus unterschiedlichen
Gründen nicht genutzt wurden. Das entspricht einer Leerstandsquote von 4,3
Prozent, wie das Statistische Bundesamt berichtet.

"Die Zensus-Zahlen erschrecken uns alle", sagt Ralph Henger, Ökonom für
Wohnungspolitik und Immobilienökonomik am Institut der deutschen Wirtschaft Köln
(IW Köln). Die hohen Leerstände zeigten, dass der Immobilienmarkt gespalten sei.
Während es in den Ballungszentren enormen Wohnungsmangel gebe, stünden in vielen
ländlichen Regionen Immobilien leer.

Mehr als Hälfte der Immobilien über ein Jahr unbewohnt

Das Problem bestehe deutschlandweit. "Ostdeutschland ist dabei aber
besonders betroffen, da dort die Abwanderung junger Bevölkerungsschichten
stärker ist", erklärt Henger. Dort gebe es teilweise Leerstände von mehr als
zehn Prozent. Doch auch Regionen in Westdeutschland seien davon betroffen, etwa
in der Eifel, Franken oder im Saarland.

Über die Hälfte der Immobilien (55 Prozent) wurde laut des Statistischen
Bundesamts seit mehr als einem Jahr nicht bewohnt. "Das ist tatsächlich
struktureller Leerstand, der wird sich nicht in Luft auflösen", sagt Matthias
Waltersbacher vom Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung. Dort leitet
er das Referat für Wohnungs- und Immobilienmärkte.

Nur etwas mehr als ein Drittel der leeren Wohnungen (38 Prozent) war in den
nächsten drei Monaten bezugsfertig. In den Stadtstaaten Hamburg, Bremen und
Berlin waren die jeweiligen Anteile dieser schnell verfügbaren Wohnungen mit 52
bis 61 Prozent deutlich höher. Für fast jede vierte leere Wohnung (24 Prozent)
waren Baumaßnahmen oder Sanierungen geplant. Ein Abriss war nur bei vier Prozent
der leerstehenden Wohnungen geplant. Sieben Prozent sollten verkauft oder von
den Eigentümern selbst genutzt werden. Für jede fünfte leerstehende Wohnung
wurden "sonstige Gründe" genannt.

Probleme leerstehender Immobilien

Experten beobachten den sogenannten Donut-Effekt: Am Ortsrand entstehen neue Wohngebiete, während innerstädtische Lagen verfallen. Die Gründe dafür sind laut
Matthias Waltersbacher neben alter Bausubstanz auch kleinere Wohnungsgrößen, der
geringere Abstand zu Nachbarn oder schlechte Parkmöglichkeiten.

Mit dem Leerstand gehen laut Henger vom IW Köln riesige Probleme einher. "So sinken beispielsweise durch marode Häuser auch die Immobilienwerte in der
Nachbarschaft", sagt der Ökonom. Auch Kriminalität und Vandalismus spielten eine
Rolle. Außerdem müsse die bestehende Infrastruktur instand gehalten werden. Die
Kosten dafür müsse die Bevölkerung tragen, die noch dort lebt. "Das ist eines
der größten versteckten Probleme des Leerstands."

"1,9 Millionen Wohnungen in Deutschland sind ein erhebliches Potenzial, das
ungenutzt ist", schätzt Waltersbacher ein. Wichtig sei es, junge Menschen in den
Regionen zu halten. So sollten ihm zufolge etwa periphere Regionen kulturell
mehr gefördert sowie Verkehrsanbindungen an größere Städte verbessert werden. In
Zeiten, in denen mehr im Homeoffice gearbeitet wird, könnten beispielsweise auch
leerstehende Wohnungen zu Co-Working-Spaces umfunktioniert werden.

Programm "Jung kauft Alt"

Um dem Leerstand zu begegnen, gibt es etwa das Wohneigentumsprogramm "Jung
kauft Alt". "Das ist ein gutes Programm, um leerstehende Wohnungen und Häuser
abseits der Ballungsräume zu reaktivieren", sagt Ökonom Henger. Einigen Kommunen
hätten es bereits. Die Bundesregierung plane, das Programm bundesweit umzusetzen
- "aber die Mittel sind knapp."

Die Daten zum Leerstand stammen aus dem Zensus 2022, der auf amtlichen
Registern und der Befragung von zwölf Prozent der Bevölkerung zu verschiedenen
Themenbereichen basiert. Laut Bundesamt erteilten bei der Gebäude- und
Wohnungszählung rund 23 Millionen Eigentümer Auskünfte zu ihren Immobilien,
ebenso wie rund 8.000 Wohnungsunternehmen./sak/DP/jha

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