02.07.2024 11:14:17 - dpa-AFX: EM 2024/HINTERGRUND/Vergebt mir: Ronaldos tränenreicher Abend von Frankfurt

FRANKFURT (dpa-AFX) - Weit nach Mitternacht erwischte es Cristiano Ronaldo
noch einmal richtig. In den Katakomben von Frankfurt bekam der schwer
mitgenommene Superstar erneut feuchte Augen, bei einem Interview stockte seine
Stimme.

Nachdem der Portugiese wochenlang nur über Instagram kommuniziert hatte,
ging er nach dem gerade so überstandenen Achtelfinal-Krimi gegen Slowenien von
Mikrofon zu Mikrofon - und sprach offen über seine Gefühle, die er Millionen
Fans weltweit zuvor schluchzend auf dem Rasen gezeigt hatte. Der Medienprofi
wusste den denkwürdigen Abend mal wieder bestens zu nutzen.

Zum letzten Mal bei der EM

Infolge des Fußball-Dramas mit der hemmungslos weinenden Hauptfigur Ronaldo
schickte dieser gleich martialische Grüße an Superstar Kylian Mbappé, der mit
Vize-Weltmeister Frankreich am Freitag (21.00 Uhr) in Hamburg Portugals Rivale
im EM-Viertelfinale sein wird. "Wir werden jetzt ein schwieriges Spiel gegen
Frankreich haben, das einer der Favoriten auf den Titel ist", sagte der 39 Jahre
alte Weltstar. "Aber wir ziehen in den Krieg." Am Montagabend war er einmal mehr
zum Dramakönig geworden.

Das Gipfeltreffen mit Mbappé könnte tatsächlich Ronaldos letztes großes
Hurra bei einer Europameisterschaft werden. Nach 2004, 2008, 2012, 2016, 2021
und 2024 wird für den Rekordspieler und Rekordtorschützen auf der EM-Bühne
Schluss sein, wie er nach dem packenden Sieg im Elfmeterschießen über Slowenien
verriet. Das Turnier 2028 in Großbritannien wird ohne die schillernde
Fußballfigur stattfinden müssen.

Die denkwürdigsten Augenblicke seiner EM-Abschiedstour liegen
höchstwahrscheinlich schon hinter ihm. Als er in der 105. Minute mit einem
Elfmeter am herausragenden Jan Oblak scheiterte, brach Ronaldo sofort und noch
während des Spiels in Tränen aus. Die Mitspieler trösteten ihn auf dem Rasen,
auf den Rängen weinte auch seine Mutter. Im folgenden Elfmeterschießen trat der
Kapitän erneut an, verwandelte zur Führung und faltete im Anschluss vor den
eigenen Fans die Hände. Die klare Botschaft: Bitte vergebt mir.

Es waren Bilder, die um die Sport-Welt gingen. Dass Portugals Torhüter Diogo Costa mit drei gehaltenen Elfmetern EM-Geschichte schrieb? Dass die tapferen
Slowenen den erstmaligen Einzug ins Viertelfinale nach vier Remis in vier
Spielen nur haarscharf verpassten? Dass Oldie Pepe mit 41 zu einem
Erfolgsgaranten der Portugiesen wird? Alles Nebensache. Nur Ronaldo zählte.

BBC spottet nach Elfmeter

So ähnlich war es auch im EM-Finale 2016, als Ronaldo gegen Frankreich
verletzt vorzeitig raus musste - und fortan als selbst ernannter Co-Trainer an
der Seitenlinie häufiger im Bild war als die meisten Protagonisten auf dem
Spielfeld.

Diesmal blieb Ronaldo 120 Minuten auf dem Rasen. "Natürlich war ich
unglaublich traurig und hinterher überglücklich. Das ist Fußball. Man kann nicht
erklären, was da passiert. Alles oder nichts, das passiert immer wieder. Dann
dreht sich das Schicksal und das Glück", sagte Ronaldo diesmal, als seine Welt
wieder in Ordnung war.

Selten sah man ihn während einer Partie derart emotional. Mitspieler mussten ihn aufbauen, was in der Vergangenheit oft andersherum aussah. "Du kannst nicht
scheitern, wenn du es nicht versuchst", betonte Ronaldo. "Menschen glücklich zu
machen, motiviert mich am meisten." In den internationalen Medien war von der
"Tragikomödie um Cristiano" (Marca) sowie von "Misstiano Penaldo" (BBC) zu
lesen.

"Eine Ehre, mit ihm zu spielen"

Dass der glückliche Ausgang des Achtelfinal-Krimis die Debatten um Ronaldos
noch immer exponierte Rolle beendet, erscheint mehr als fraglich. Gegen
Slowenien nahm sich der Routinier mal wieder bei allen Standards den Ball. Im
Gegensatz zum ordentlich geschossenen Elfmeter waren einige Freistoßversuche
kläglich. Bei der WM 2022 in Katar hatte eine ähnliche Situation während des
Turniers dazu geführt, dass Gonçalo Ramos irgendwann für Ronaldo in die Startelf
rückte - das folgende Achtelfinale gegen die Schweiz wurde dann prompt mit 6:1
gewonnen.

Doch teamintern rückt diesmal keiner von Ronaldo ab. "Nur diejenigen, die
Elfmeter schießen, können verfehlen. Er hat uns den Weg zum Sieg gezeigt. Die
Kabine steht hinter ihm. Wir sind sehr zufrieden mit ihm", sagte Cheftrainer
Roberto Martinez über seinen Kapitän.

Selbst Matchwinner Costa wollte nach seinen Heldentaten im Showdown vom
Punkt nicht zu viel von sich reden. Stattdessen schwärmte er: "Wir wissen alle,
dass Cristiano am härtesten arbeitet. Ich kann verstehen, wie frustriert er ist.
Es ist eine Ehre und eine Freude, mit ihm zu spielen."/pre/DP/jha

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