20.05.2024 06:25:23 - dpa-AFX: POLITIK: Entscheidung zu Berufungsantrag im Fall Assange erwartet

LONDON (dpa-AFX) - Im juristischen Tauziehen um die von den USA geforderte
Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange wird an diesem Montag mit
einer Entscheidung zu dessen Berufungsantrag gerechnet. Dazu ist am Londoner
High Court eine Anhörung um 11.30 Uhr (MESZ) angesetzt, die voraussichtlich zwei
bis drei Stunden dauern soll. Die Unterstützer des 52 Jahre alten gebürtigen
Australiers haben zu einer Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude im Zentrum der
britischen Hauptstadt aufgerufen.

Die US-Regierung will Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen.
Ihm drohen nach Angaben seiner Unterstützer bis zu 175 Jahre Haft. Washington
wirft ihm vor, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes
Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen,
veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu
haben. Assanges Unterstützer hingegen sehen in der Strafverfolgung eine
Vergeltungsaktion Washingtons, weil durch die Veröffentlichungen mutmaßliche
Kriegsverbrechen aufgedeckt wurden.

Letzte Instanz wäre in Straßburg

Sollte das Gericht dem Berufungsantrag stattgeben, dürfte das jahrelange
juristische Tauziehen zunächst weitergehen. Im Falle einer Ablehnung droht
Assange eine baldige Auslieferung. Zumindest in Großbritannien wäre der
Rechtsweg dann ausgeschöpft. Assanges Team will in diesem Fall den Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg anrufen. Doch ob dieser eine
einstweilige Verfügung erlassen würde, um die Auslieferung zu stoppen, und ob
Großbritannien diese beachten würde, gilt als ungewiss.

Inhaltlich geht es am Montag darum, ob sich Assange in den USA als
ausländischer Staatsbürger auf das Recht der Meinungsfreiheit berufen kann und
ob ihm die Todesstrafe droht. Die Richter hatten die Entscheidung über den
Berufungsantrag bei einer zweitägigen Anhörung Ende März zunächst vertagt und
Zusicherungen aus den USA angefordert. Nun geht es darum, ob diese Zusicherungen
ausreichend sind oder ob es zu einer Berufungsverhandlung kommt.

Assanges Frau Stella fürchtet im Fall einer Auslieferung wegen der
erwarteten harten Haftbedingungen in den USA und der labilen Psyche ihres Mannes
um sein Leben. Suizid-Gefahr war auch der Grund, warum eine Richterin in erster
Instanz die Auslieferung zunächst abgelehnt hatte. Doch die Entscheidung wurde
später gekippt. Die britische Regierung stimmte seiner Auslieferung zu. Stella
Assange zufolge wäre es denkbar, dass das Gericht an diesem Montag auch direkt
inhaltlich über den Berufungsantrag entscheidet.

Gibt es womöglich eine politische Lösung?

Neben einem möglichen Berufungsverfahren dürften Assanges Unterstützer ihre
Hoffnungen vor allem auf eine politische Lösung setzen. Die australische
Regierung setzt sich inzwischen für eine Freilassung ihres Staatsbürgers ein.
Erst kürzlich verabschiedete das australische Parlament einen Beschluss, in dem
die USA und Großbritannien aufgerufen wurden, die Strafverfolgung Assanges zu
beenden. Regierungschef Anthony Albanese betonte, die Angelegenheit ziehe sich
schon zu lange hin.

Etwas Hoffnung bei Assange-Anhängern weckte US-Präsident Joe Biden kürzlich. Der hatte auf die Frage, ob die australische Forderung nach einem Ende der
Strafverfolgung geprüft werde, gesagt: "Wir erwägen das." Albanese nannte die
Äußerung "ermutigend".

Assange sitzt seit beinahe fünf Jahren im Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh
in London. Vor seiner Festnahme im April 2019 hatte er sich mehrere Jahre in der
ecuadorianischen Botschaft in London dem Zugriff der Strafverfolgungsbehörden
entzogen. Diese hatten ihn zunächst wegen Vergewaltigungsvorwürfen in Schweden
ins Visier genommen. Diese Anschuldigungen wurden später jedoch aus Mangel an
Beweisen fallen gelassen. Er sitzt inzwischen ohne eine Verurteilung im
Gefängnis. Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, Journalistenverbände,
Künstler und Politiker fordern Assanges sofortige Freilassung./cmy/DP/zb

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